Nun ist es schon über einen Monat her, dass wir in den östlichen Bundesländern unterwegs waren auf dem Weg nach Weimar und Buchenwald. Heute liegt eine Grußbotschaft der Thüringer Polizei in unserem Briefkasten. Ich hatte längst vergessen, dass ich fotografiert wurde. Eine Geschwindigkeitsbegrenzung war mir entgangen, und die Kamera am Wegesrand blitzte kurz auf, um dies zu bezeugen. Es erinnert mich an eine Fahrt vom äußersten Nordwesten Nordrhein-Westfalens in den Süden, nach Freiburg. Damals besuchte ich eine Fortbildung zum Medienmanager in einem Ort namens Kamp-Lintfort. Meine Familie blieb in Freiburg, weil wir ja wussten, dass diese Trennung nur von kurzer Dauer sein wird. Naja, zwei Jahre waren vorgesehen. Alle vierzehn Tage fuhr ich mit einem kleinen Renault Twingo für ein Wochenende hin und zurück. Eine Strecke von 550 km versuchte ich in möglichst kurzer Zeit zu überbrücken. Deshalb fuhr ich nachts. Ich befolgte die vorgeschriebenen Geschwindigkeitsbegrenzungen, die sich abwechselten zwischen 130, 100 und 80. Dazwischen galt die unbegrenzte Freiheit. Hier in Deutschland gilt ja noch „freie Fahrt für freie Bürger“ und die eigentliche Unfreiheit wird garnicht mehr gespürt.
Bei einer dieser Wochenendfahrten festigte sich in mir die Vorstellung, man möchte mich zum Narren halten. Erst sollte ich so schnell fahren dürfen, wie mein Twingo kann, dann runterbremsen auf 80, anschließend beschleunigen auf 130, um kurz darauf wieder nur 80 und anschließend wieder 100 zu fahren. Für mich ohne ersichtlichen Grund. Daher auch der Gedanke, dies sei gedacht, um mich zu ärgern. Oder, was mir zusätzlich in den Sinn kam, um mich zu prüfen. Gelingt es dem Autofahrer da in seinem Kleinwagen, sich an die vorgegebene Ordnung zu halten? Ist er nicht nur wach genug, sondern auch Willens genug, dieses Hin und Her der Geschwindigkeitsbegrenzungen mitzumachen? Ich lasse mich weder gerne narren, noch in einem Assessment testen. Damals gab ich nach der Hälfte der Strecke auf, mich ordungsgemäß zu verhalten. Meine benannten Gründe waren mir stichhaltig genug, um mich über alle nachfolgenden Geschwindigkeitsbegrenzungen hinwegzusetzen. Außer in Baustellenbereichen genoss ich die freie Fahrt für einen freien Bürger. Eigentlich einen dummen Bürger und es wurde teuer.
Heute, mit dem Brief der Thüringer Polizei, erhielt ich auch Beweisfotos. Tatsächlich kann ich mich auf dem einen gut wiedererkennen. Das andere, worauf der Wagen zu sehen ist, macht mich stutzig. Ein weißes Rechteck verhindert den Blick auf den Beifahrersitz. Jetzt frage ich mich, ob dies aus datenschutzrechtlichen Gründen geschieht. Oder steckt gar eine Art von Rücksichtnahme dahinter? Sollte der Delinquent bei Ankunft des Schreibens nicht zuhause sein, dann könnte das fatale Folgen haben. Ich stelle mir vor, die Person auf dem Beifahrersitz ist als Frau zu erkennen. Und wenn Kerstin die Post in meiner Abwesenheit öffnet, dann fragt sie sich, mit welcher anderen Frau ich unterwegs war. Die Thüringer Polizei konnte nicht wissen, dass meine Ehefrau neben mir saß. Also hat ein Kollege die Person auf dem Beifahrersitz durch ein weißes Rechteck anonymisiert. Das ist doch sehr freundlich und ich möchte mich an dieser Stelle für so viel Rücksichtnahme bei der Polizei Thüringen bedanken.
Diese Art von Datenschutz gefällt mir. Schließlich soll die Radarüberwachung den Fahrer identifizieren – und nicht gleich das ganze soziale Umfeld offenlegen. Und du hast völlig Recht: Was, wenn die beifahrende Person zwar weiblich ist, aber nicht die eigene Partnerin? Dann wird’s schnell erklärungsbedürftig. Kein Wunder also, dass auch bei Filmdrehs in vielen Ländern die Regel gilt: Sind fünf oder weniger Personen im Bild, braucht’s von jeder eine Freigabe.