Das Thema „Werbung“ stand am zweiten Tag im Mittelpunkt. Wir sollten als Lockerungsübung einen Werbetext verfassen für ein Produkt, das wir uns aussuchen durften. Fünf Minuten hätten wir Zeit. Die Hausaufgabe sah dann so aus, dass eine wunderschöne Situtation geschildert werden durfte, die ständig von Werbung unterbrochen wird. Egal, ob nervend, kontrastierend oder verstärkend. Ich hasse Werbung. Ich vermeide jeden Film, jede Radiosendung, die von Werbung unterbrochen wird. Die Aufgabe war für mich eine echte Herausforderung. Bis ich mich lösen konnte vom strikten Erfüllen dieser Aufgabenstellung. Ich fing an, mich zu emanzipieren.
Werbung, werben, umworben sein
Die Innenstadt nennt sich Fußgängerzone. Es stimmt nicht. Es gibt Straßenbahnen. Also nicht nur für Fußgänger. Es müsste ZÖNK heißen. Zone Öffentlichen Nahverkehrs und Kommerz. Die Geschäfte wollen besucht werden. Wir sollen kaufen. Schuhe, Kleidung, Kosmetik, Schuhe, Kleidung, Kosmetik. Für jedes Produkt gibt es gleich mehrere Läden. In diesem Leben ist der Konsum wichtig. Vielleicht brauchen wir nicht alles, was angeboten wird. Darum wird uns erzählt, dass wir es brauchen. Es wird Werbung gemacht. Wir werden umworben. Man will mein Interesse, mein Geld. Brauche ich nicht eine neue Jacke? Brauche ich nicht die neuesten Barfußschuhe? Sollte ich nicht mal wieder eine neue Jeans kaufen?
Ein Bekannter tauscht einmal im Jahr seine gesamte Kleidung gegen Neues. Ich habe die Tendenz, die alten Sachen so lange zu behalten bis sie verschlissen oder unsansehnlich sind. Ich brauche nicht zwanzig Paar Schuhe. Zwei Paar reichen mir. Du hast mehr als zwei Paar, sagt meine Frau. Es geht mir nicht um die Fakten, erwidere ich. Hier steht die kleine Zahl stellvertretend für eine geringe Menge. Laufe ich in einen Laden, so weiß ich schon im Voraus, was ich dort kaufen will. Ich gehe zum Einkaufen, um das zu bekommen, was ich brauche. Mein Verhalten ähnelt dem eines Sondereinsatzkommandos: Rein, Zugriff, Raus.
Als unser Kühlschrank seinen Geist aufgab, brauchten wir schnell einen neuen. Der Elektrogerätehändler um die Ecke hat Kühlschränke in allen Größen und Farben. Bauknecht weiß, was Frauen wünschen. Wissen sie auch, was Männer wünschen? Ich frage nach Bauknecht. Die hatte er früher mal, sagt der Inhaber. Hier, dieser Kühlschrank, der ist sehr gut. Wird oft gekauft. Was für ein interessantes Argument: „Wird oft gekauft“. Also ob die Masse sich nicht irren könnte. Auch sei der Kühlschrank derzeit im Angebot. Nicht mehr lange, setzt er hinzu. Ich habe zuhause aufgetaute Lebensmittel, da gilt es, sich schnell zu entscheiden. Wird der Kühlschrank zu mir nach Hause gebracht? Das könne man tun, kostet allerdings Transportgebühr. Ich wohne um die Ecke, sage ich. Kein Problem, morgen können wir liefern. Morgen sind meine Lebensmittel verdorben. Es sei denn, es gelingt sie zu verarbeiten. Alle. Alles Fleisch, alles Gemüse. Wie heißt der Hersteller dieses Kühlschrankes? AEG, sagt er. Aus Erfahrung gut, denke ich. Das ist eingebrannt in meinem Gehirn. Dieser Kühlschrank wurde in China gebaut, der Name AEG steht irgendwo an der Tür. Was daran ist die Erfahrung, die gut sein soll? Die anderen Kühlschränke sind auch aus chinesischer Produktion, tragen jedoch unterschiedliche Namen. Was tun? Er könne mir auch ein Modell bestellen, das nicht im Laden steht. Deswegen bin ich ja bei ihm, weil ich JETZT einen Ersatz benötige. Sonst hätte ich auch im Netz bestellen können.
Als wir vor kurzem bei IKEA waren, da wollten wir nur nach einem Teppich schauen, dessen Qualität online nicht zu erkennen war. Wir wollten ihn in echt sehen, anfassen und uns ein Bild machen. Das Einrichtungshaus begrüsst uns mit der Frage „Wohnst du noch oder lebst du schon?“ Wo ist der Unterschied? Wir wohnen, weil wir leben. Wir leben dort, wo wir wohnen. Warum muss ich dies voneinander trennen? Der Teppich war nicht vorhanden. Er könne bestellt werden, in wenigen Tagen sei er da. Danke. Nein. Wir ziehen weiter, vermeiden den Kauf von Dingen, die wir nicht brauchen. Wir sind stolz, es geschafft zu haben. Keine Schalen, Gläser, Kissen, Stoffe. Keine Pflanzen, Kübel oder Bilderrahmen. Kein Stopp für Köttbullar.
Eine wiederkehrende Erfahrung für mich: Die Freude darüber, nichts gekauft zu haben. Auf all meinen internetfähigen Geräten habe ich den Zugriff auf mein Nutzerverhalten unterbunden. Ich kann Webseiten aufrufen, ohne dass mir Werbung angezeigt wird. Daher weiß ich garnicht, welche Werbung zur Zeit dran ist. Ich kenne nur noch Slogans aus vergangenen Tagen. Beim Kauf eines Kühlschranks, möchte ich daran glauben, dass Bauknecht weiß, was Frauen wünschen. Ich möchte daran glauben, dass ein Unternehmen namens AEG aus Erfahrung gut ist. Wer dabei gut ist, was gut ist, das kümmert mich nicht. Ich brauche nur eine Krücke, die mir die Kaufentscheidung einfacher macht. Etwas, woran ich mich erinnere, wenn ich mich frage, warum ich dieses Gerät gekauft habe. Jetzt steht ein AEG-Kühlschrank in unserer Küche. Eben zeigt mir mein Sohn eine Werbung, die ihm besonders gut gefällt. Sie stammt von einem Dienstleister für Finanzanlagen. Mit großfächigen Plakaten an den Haltestellen von Bussen und Bahnen macht er auf sich aufmerksam mit dem Slogan: „Wohin mit der Asche von Oma?“.
Aber mal ehrlich: „Wohin mit der Asche von Oma?“ ist schon ziemlich kreativ. Dass der Slogan bei deinem Sohn hängen blieb (und jetzt bei dir, bei mir, bei Moni …) zeugt von jener Wirkung, welche die Werber im Kopf hatten, als sie sich an die Arbeit machten. – Noch so ein Hängenbleiber: „Kauf kein Kack!“ Lese ich in letzter Zeit öfter – und ertappe mich jedesmal beim Schmunzeln.
Und wenn wir gerade bei guten Sprüchen sind:„Werbung ist die Kunst, auf den Kopf zu zielen und die Brieftasche zu treffen.“ (Vance Packard)
Brauche ich nicht, habe ich schon…dieser Gedanke begleitet mich jetzt seit einiger Zeit bei meinen seltenen Gängen durch die Stadt. Wann habe ich das letzte mal etwas aufgrund von Werbung gekauft? Keine Ahnung. Und doch bin ich jetzt neugierig auf die Antwort bezüglich der Asche und was hat das bitteschön mit dem Finanzdiensleister zu tun? Manchmal beschleicht mich der Gedanke, ich bin zu alt für diese Welt…oder nur für diese Art von Werbung??
Nun, Asche steht hier für Zaster, Moneten, Moos, also das Erbe. Natürlich spielen die auch mit der Doppeldeutigkeit, es hätte ja auch die Asche in der Urne sein können …