Es ist Sonntag, es ist kalt, es regnet. Also fahren wir nach Sofia, in die Hauptstadt und bummeln durch den Regen. Das geht natürlich nicht so einfach, denn zuerst müssen wir über den Pass. Das bedeutet eine Stunde mit dem Auto über einige Serpentinen hoch und wieder runter. Im Tal auf der anderen Seite ist der Bahnhof, wo unser Zug abfährt nach Sofia. Ich hatte mir diese Art der Fortbewegung gewünscht, denn mir war noch ein Reisebericht in Erinnerung, worin die tolle Aussicht in die Schluchten und auf die Berge angepriesen wurde. Der Bahnhof im Ort Lakatnik ist nicht besonders attraktiv, es gibt allerdings auch Sonntags einen Fahrkartenverkauf. Die Dame hinter dem kleinen Schiebefenster telefoniert noch als wir auf uns aufmerksam machen. Sie läßt sich erzählen, worin unser Wunsch besteht und telefoniert weiter. Nach einer Weile widmet sie sich der Dateneingabe und dem Ausdrucken zweier Billetts, die uns später im Zug von einem echten Schaffner abgeknipst werden. Die Fahrt mit dem Zug entpuppt sich als wenig Aufsehen erregend. Die Strecke ist von Bäumen, Regen und Nebel gesäumt und sehen kann ich nichts.

In Sofia angekommen, kauft uns Rumen Tageskarten für den öffentlichen Nahverkehr. Das Stück kostet 4 Lewa, das sind zwei Euro. Dafür käme ich in Bremen nicht einmal eine Haltestelle weit mit Bus oder Bahn. Was macht man in Sofia, wenn es kalt ist und regnet? Man spannt seinen Regenschirm auf und läuft hinter Rumen her, der nicht nur das Tempo, sondern auch die Richtung bestimmt. Rumen kennt sich aus. Er führt mich zu einer Kirche von der er sagt, dass sie um einiges schöner sei als die berühmte Alexander-Newski-Kathedrale mit ihren vergoldeten Kuppeln. Also geht es zum Eingang und als wir die Tür öffnen, müssen wir feststellen, dass darin eine Hochzeit stattfindet. Das Paar steht vor dem Popen, dieser ist eingerahmt von zwei weiteren seiner Profession. Hinter dem Paar stehen die Trauzeugen, die im weiteren Verlauf der Zeremonie noch die ein oder andere Aufgabe übernehmen müssen. Der Pope singt, ein Chor oben im Chorgestühl antwortet, unterstützt und begleitet. Das Paar steht andächtig und lässt alles über sich ergehen. Ich verstehe nur Bahnhof, doch ist alles recht nett anzusehen. Ob Rumen etwas versteht, frage ich ihn und er schüttelt nur den Kopf. Der Bräutigam heiße Andros und die Braut Mirinja, mehr wüsste er nicht.

Irgendwann wird der Braut und dem Bräutigam je eine Krone aufgesetzt, der Trauzeuge muss dies wiederholen und am Ende gibt es Brot und Wein für das Paar und Küsse für ein goldenes Kreuz von allen. Wir sind dann jedoch schon wieder auf dem Weg raus aus der Kirche und zurück in den Regen. Es gibt noch mehr zu erforschen in der Hauptstadt. Rumen ist ein Büchermensch, ein Bücherliebhaber und Büchernarr. Also bleibt es nicht aus, dass er mir das beste Bücher-Antiquariat am Ort zeigt. Dort gibt es sogar das ein oder andere deutschsprachige Buch zu finden. Und jede Menge Buchtitel auf Kyrillisch, die Rumen mir mit großer Begeisterung unter die Augen hält mit den Worten, weißt du was das hier heißt? Nein, ich weiß es auch nach anderthalb Tagen Aufenthalt noch immer nicht, denn ich kann kein Bulgarisch. Also starre ich weiter auf die mir unverständlichen Buchrücken und bin froh, dass der Laden geheizt ist. Ein Bildband gefällt mir und beim Aufblättern stelle ich fest, dass er kaum Bilder enthält. Irgendwann hat Rumen seine Inventur beendet und wir ziehen weiter. Diesmal in ein Café, wo es leckeren Kaffee gibt und laute Musik.

Draußen auf der Straße erinnere ich mich an meine Rutschpartie beim letzten Besuch in Sofia. Die Straßen sind zum Teil mit einem Belag versehen, der mich bei Nässe immer wieder in Gefahr versetzt, mir den Oberschenkelhals zu brechen. Ich muss achtsam sein, hämmere ich mir ein, aufpassen, wo ich hintrete und möglichst langsam gehen. Das allerdings ist schwierig, da Rumen wieder einen Zahn zulegt. Während wir Straßen überqueren und Straßenbahnen ausweichen, zeigt er auf das ein oder andere Gebäude, um mir dessen Funktion zu erklären. Manches hat seine Bedeutung erlangt durch die ein oder andere Demonstration, die vor ihm stattfand, wo auch Rumen dabei war. Wichtige Gebäude hier in Sofia haben eine Flagge auf dem Dach. Dort, so zeigt mir Rumen, war früher ein roter Stern, dort oben, wo jetzt eine Flagge zu sehen ist.

Nach einer weiteren Umrundung von wichtigen Gebäuden, vorbei an zwei Wachsoldaten vor dem Sitz des Präsidenten, gelangen wir zur nächsten Kirche. Die sei besonders schön, meint Rumen, und natürlich öffnen wir auch hier die schwere Tür. Auch jetzt wieder eine Hochzeit, auch hier die drei Popen, der Sing-Sang, der Chor, die Rituale. Diesmal wird das Paar durch ein Tor geführt und muss drei Mal um den Altar schreiten, das Kreuz küssen, die Kronen aufsetzen und von Brot und Wein kosten. Alles sehr zeitintensiv und besonders für die Trauzeugen kompliziert. Wer geht wann mit was in den Händen vor das Paar, wer trägt welche Kerze, welchen Strauß und legt diese wo ab? Ich stelle mir vor, das wurde in einer Art Generalprobe eingeübt vor diesem wichtigen Tag. Wir fragen uns, warum denn so viele Hochzeiten stattfinden und machen uns weiter auf den Weg. Rumen kennt eine Universitätsbuchhandlung, die sehenswert ist, zweistöckig sogar und im Trockenen. Dorthin gelangen wir mit der U-Bahn, die hier auffallend modern und sauber ist. Müssen wohl europäische Projektgelder gewesen sein, die hier versenkt wurden. Über lange Rolltreppen kommen wir in die Tiefe und besteigen unsere Bahn. Angekommen funktionieren die Rolltreppen nicht mehr und wir müssen die über achtzig Stufen mit eigener Kraft bezwingen.

Tatsächlich gibt es wieder viele Bücher, viele bunte Buchrücken und ein kleines Regal mit deutschsprachiger Literatur. Ich überzeuge mich davon, dass ich kein Wort Kyrillisch verstehe und warte auf Rumen, der irgendwann auch diesen Bestand aufgenommen hat. Wir machen uns auf den Weg zum Bahnhof, überqueren dafür wieder einige Straßen, steigen Treppen hinab und hinauf, kaufen eine Fahrkarte zurück in die Schluchten des Balkans und lassen uns nach Hause schaukeln. Zumindest bis zum Parkplatz am Bahnhof, wo Rumens Auto steht. Auf dem Weg dorthin kann ich die große Anzeige im Waggon lesen, wo die nächsten Haltestellen angezeigt werden und das Datum des heutigen Tages. 25.05.25 steht dort. An solch einem Datum würde auch ich heiraten, wenn ich die Furcht hätte, meine Partnerin könnte unseren Hochzeitstag vergessen.
Möglicherweise ist die U-Bahn mit EU Projektgeldern gebaut worden, für die Sauberkeit sorgen aber die Fahrgäste bzw. das Personal.