Nun bin ich also doch entgegen meiner Pläne zuerst bei Rumen eingetroffen. Die Fahrt von Sofia durch die Schluchten des Balkans zog sich hin. Besonders zu Beginn als ich versuchte aus der Stadt herauszukommen. Das wollten am Freitagnachmittag noch Tausende anderer Menschen. So sollte ich die Außenbezirke von Sofia besonders intensiv kennenlernen bei einer Geschwindigkeit von 30 bis 40 km/h. Einmal sogar musste ich zurück fahren, weil ich eine Ausfahrt falsch genommen hatte und durfte mich erneut einfädeln in das Stop-and-Go des Feierabendverkehrs. Doch auch außerhalb der Stadt lief es nicht so schnell wie ich es mir wünschte. Um acht Uhr abends Ortszeit erst konnte ich meinen Mietwagen abstellen vor Rumens Zuhause.

Als ich ankam, stand das Abendessen schon bereit. Es gab frisches Brot, frischen bulgarischen Schafskäse und die leckeren Tomaten vom nahegelegenen Markt. Dazu selbst gemachten Holunderblütensirup mit Sprudel. Und jede Menge zu erzählen, zu berichten und zu fragen. Als hätten wir uns erst am Vortag das letzte Mal gesehen, verbrachten wir einen intensiven Abend mit Blick auf das gewaltige Gebirge draußen vor den Fenstern. Mein Bett stand wieder unter dem Dach im großen Zimmer mit den Panoramafenstern und den vielen Büchern entlang der Längsseiten des Raumes. Im Gegensatz zu meinen sonstigen Erfahrungen in fremder Umgebung konnte ich durchschlafen und morgens recht früh schon ausgeschlafen zum Frühstück erscheinen.
Schon vor meinem Reisestart hatte ich mit Rumen telefoniert, denn ich war letztlich zum Entschluss gekommen, dass ich doch eigentlich nach Bulgarien kommen wollte, um ihn zu besuchen. Nicht Plovdiv und nicht Weliko Tarnovo, auch nicht das monumentale Denkmal in Buzludzha. Spanchevtsi sei angesagt, erzählte ich Rumen am Telefon und er war wieder einmal überrascht und erfreut über meine spontanen Planänderungen. Nach dem Frühstück fuhren wir weiter hinauf in den Norden in den Heimatort seines Vaters. Dort wollte er mir das Grab seines Vaters zeigen. Die Friedhöfe hier in Bulgarien sind nicht so parkähnlich angelegt wie bei uns. Es gibt auch keine einheitlichen Gräber, Grabsteine und Wege. Mir erscheint das Durcheinander passend für den Begriff Gottesacker, der mir sogleich einfiel, als ich mich umschaute.

Immerhin gibt es für Rumen einen Ort, wo er noch Zwiesprache halten kann, wenn ihm danach ist, mit seinem so lange schon verstorbenen Vater. Bei meinen Überlegungen, wie und wo ich denn begraben sein möchte, hatte ich diese Möglichkeiten für Hinterbliebene noch nicht mitbedacht. Mir kam als erstes ein Friedwald in den Sinn, der auch ein Ort für Andenken sein kann. Allerdings dachte ich nicht daran, meine Asche irgendwo in einem der Bremer Parks verstreuen zu lassen. Auch die Versenkung der Urne im eigenen Garten liegt mir fern. Beides ist im Stadtstaat Bremen erlaubt. Bevor wir den Friedhof erreichten, hielten wir vor einem Landratsamt in einer Nachbargemeinde. Dort hatten sich Menschen versammelt, um den Aufführungen von Kindern und Jugendlichen beizuwohnen anlässlich des heutigen Feiertages. Hier in Bulgarien wird am 24 Mai nicht der Geburtstag von Bob Dylan gefeiert, sondern der Gedenktag für die Brüder Kyrill und Method, zwei griechischen Gelehrten und Priester. Schüler der beiden hatten die heute noch verwendete kyrillische Schrift entworfen. Zu Ehren von Kyrill und Method wird der 24. Mai als Festtag ausgerichtet. Dies in Anlehnung an den allerersten Festtag in Plovdiv im Jahr 1851.

Mittlerweile hatte es begonnen zu regnen und wir fuhren durch Landschaft und Dörfer im Takt der Scheibenwischer. In manchem Ort machten wir eine Rundfahrt über unbefestigte Straßen und schauten uns zerfallene oder renovierte Häuser an. Rumen erinnerte sich an eine katholische Kirche in einem der Orte, wo in den frühen 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts eine deutsche Kolonie zu finden war. Die Kirche ist mittlerweile durch ein neues Dach vor dem weiteren Zerfall geschützt und Schilder am Eingangstor weisen darauf hin, dass um Spenden gebeten wird für die notwendigen Renovierungen. Durch das Eingangsportal ist eine Kerze zu sehen, die jemand angezündet hat, dort wo früher der Altar stand. Rechts daneben lassen sich die beiden alten Männer erkennen, zu deren Ehre die Kerze brennt.

Danke für diese wunderbaren Eindrücke in eine Welt, die mir völlig fremd ist. Ich bin gespannt auf deine weiteren Erlebnisse und wünsche dir sichere, schöne Tage mit Rumen.