Das Universum

Eine Flohfamilie lebte im Ohr eines Elefanten. So erzählt es Anthony de Mello. Eines Tages entscheidet die Flohfrau, dass sie näher zu ihren Verwandten ziehen möchte im Büffelfuß. Der Flohvater hält daraufhin eine taktvolle Rede an den Elefanten. Er möge nicht beleidigt sein, es gehe nicht um ihn, es sei allein der Wunsch seiner Frau, näher bei den Verwandten zu wohnen. Der Elefant sagte nichts und Familie Floh zog mit reinem Gewissen um. De Mellos Schlussfolgerung ist ein Fingerzeig auf den Umgang mit der Aufgeregtheit unserer Zeit: „Das Universum weiß nichts von deiner Existenz! Also bitte keine Aufregung!“

Das fällt mir oft schwer, diese Gelassenheit an den Tag zu legen. Vieles, was mir an Nachrichten unter die Augen kommt, lässt mich nicht kalt. Allein schon die vielen Stimmen, die eine Kriegsgefahr heraufkommen sehen und gleichsam herbei beschwören, machen mir Angst. Manches Mal gelingt es mir, mich daran zu erinnern, was De Mello schreibt. Meine Angst, meine Empörung, meine Wut, all das kümmert das Universum nicht. Auch nicht jene, die von den aktuellen und zukünftigen Kriegen profitieren, für die junge Menschen in den Krieg ziehen sollen. Es gab mal eine Zeit, da waren Wünsche an das Universum ein probates Mittel, um Dinge geschehen zu lassen. Die Autorin, Bärbel Mohr, hat zu diesem Thema eine Reihe von Büchern verfasst. In ihrem Handbuch zur Wunscherfüllung zeigt sie auf, wie dies gelingen kann. Wir haben es damals ausprobiert und wie der Zufall wollte, konnte der ein oder andere Wunsch in Erfüllung gehen. Zum Beispiel bei der Parkplatzsuche im Viertel.

War ein Wunsch nicht in Erfüllung gegangen, was ziemlich oft geschah, dann gab es auch hierfür eine gute Begründung. Die Wunschformulierung war nicht klar und deutlich genug. Also keine langatmigen Formulierungen mit großem Respekt an das Universum gerichtet, sondern kurz und knapp: Universum, jetzt einen Parkplatz! Der Hype um die Wünsche an das Universum war irgendwann vorbei und wir hielten uns wieder an den Glauben an Zufälle. Die Vorstellung vom Universum relativiert mir das Geschehen hier auf der Erde. Auch hier in Bremen und in meinem direkten Umfeld. Vom Universum aus betrachtet, ist all unser Tun sehr unbedeutend. Große Bedeutung hingegen hatte das Universum für den kleinen Ivy in dem wundervollen Film „Annie Hall“ von Woody Allen. In den deutschen Kinos war er unter dem Titel „Der Stadtneurotiker“ zu sehen. Ivy war von seiner Mutter zum Arzt gebracht worden, weil er seine Schulaufgaben nicht mehr machen wollte.

„Sag dem Doktor, warum du deine Schulaufgaben nicht machen willst! Sag‘ es ihm!“ Nach längerem Zögern formuliert er den Satz, den ich mir beim Anschauen des Films sofort gemerkt hatte: „Das Universum expandiert*.“ Welch eine unschlagbare Argumentation für das Verweigern von Hausaufgaben, dachte ich mir. Na klar, wenn das Universum expandiert, dann hat all unser Tun auf Erden keinen Sinn. Der Doktor zieht an seiner Zigarette und während er den Rauch ausbläst, erwidert er: „Aber nicht hier in Brooklyn, Ivy! Nicht in Brooklyn.“ Das waren noch Zeiten. Da wurde einem Arzt die Autorität zugesprochen, die Sicht auf die Welt gerade zu rücken. Wenn er darauf hinweist, dass es keine Bewandtnis hat für Brooklyn, dann stimmt dies. Wem sonst sollten wir Glauben schenken? Vielleicht unseren Zeitungen? Ein Bekannter hatte seinem Arbeitskollegen alle seine kritischen Argumente und die gesicherten Belege zum Maßnahmengeschehen während der Pandemie dargelegt. Der Kollege war sehr beeindruckt und wollte es fast schon glauben. Dann jedoch entgegnete er: „Es scheint mir alles richtig, was du mir erzählst. Doch lieber würde ich dies im Weser Kurier lesen, um es zu glauben.“

Werde ich morgens von Kerstin gefragt, warum ich ein so verdrießliches Gesicht mache beim Lesen der Zeitung, dann muss ich nur sagen „Das Universum dehnt sich aus.“ Sie weiß dann Bescheid und lässt mich in Ruhe meinen Verdruss erleiden.

*am 29.03.25 korrigiert: Es musste „expandieren“ heißen, nicht, dass sich das Universum zusammenzieht.

Ein Gedanke zu „Das Universum“

  1. Ach, ja, das ist immer wieder eine schöne Geschichte vom kleinen Ivy und dem Brooklyner Universum. Ich höre sie gern, ich lese sie gern. Und wie sehr wünsche ich mir auch in gewissen Momenten erleichternden Stoizismus oder schlicht Gelassenheit und innere Ruhe. Oft gelingt es mir, die Ruhe zu bewahren, aber manchmal schwimme ich unbemerkt von meiner Aufmerksamkeit auf einer Welle von wirbelnden Wassern.

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