Noch bevor ich mich aufmachte auf den Weg nach Bulgarien hatte Rumen gefragt, ob wir nicht ein Interview miteinander machen könnten. Klar, dachte ich, warum nicht. Die besten Gedanken kommen beim Sprechen. Nicht bei jedem, doch bei manchen Menschen konnte ich dies schon erfahren. Ich packte also neben meinem Laptop auch ein Mikrofon ein, damit von technischer Seite keine Überraschungen auftreten. Wie machen wir das, fragten wir uns. Wird es ein Interview, ein lockeres Gespräch, ein Gespräch mit eingestreuten Fragen? Am besten wäre es wohl, wir planen nur, dass wir das Thema Bulgarien und das Auswandern hierher in den Fokus setzen. Die Idee, nicht nur eine Aufnahme zu fabrizieren, sondern gleich einen Podcast daraus zu machen, entstand bei mir während des Gesprächs. Warum nicht einen deutsch-bulgarischen Austausch pflegen, der vielleicht auch für andere Menschen interessant sein könnte? Ein Name für diesen Podcast war schnell gefunden: Bacillus Bulgaricus.

Die erste Episode ist hier anzuhören. Wir werden weitere Gespräche folgen lassen, das lässt sich auch über die Ferne realisieren. Es ist ein tolles Gefühl, wenn die Technik funktioniert, ein interessantes Gespräch zustande kommt und sich die Aufnahme trotz schlechter Internetverbindung in die Welt bringen lässt. Wir waren beide recht zufrieden und während ich noch die Aufnahme mit Intro und Outro versah und an Buzzsprout sandte, brutzelte uns der Schnitzel König zwei der übrig gebliebenen Schnitzel, rieb auf die Schnelle Kraut zu Salat und kochte Kartoffelbrei. Das nenne ich Arbeitsteilung. Nach unserem leckeren Mittagessen machten wir uns auf den Weg. Rumen hatte herausgefunden, dass im nahegelegenen Kloster um 16:00 Uhr eine Messe stattfindet. Bisher war ich nur zufällig Zeuge von orthodoxen Hochzeitszeremonien geworden, jetzt also sollte es eine vollständige orthodoxe Messe sein.

Man läuft eine dreiviertel Stunde bis zum Kloster. Es geht durch Wiesen und Mischwälder, Berg hoch und runter. Der Regen hat die Wege ziemlich aufgeweicht und es ist eine Herausforderung, trockenen Fußes auf dem Weg zu bleiben. Der Spaziergang wird sich lohnen, denn das Klisurski-Kloster (bulgarisch: Клисурски манастир „Св. Св. Кирил и Методий“) soll eines der bedeutendsten orthodoxen Klöster Nordwestbulgariens sein. Wenigstens sagt dies Wikipedia. Unterwegs können wir immer wieder grandiose Ausblicke genießen. Die Todorini Kukli, das sind die zwei markanten Bergspitzen, die auch von Rumens Veranda aus zu sehen sind, begleiten uns auf unserem Weg. Sie sind fast 1800 Meter hoch und gehören zu einem Ensemble von vier nebeneinander liegenden Gipfeln. Der Legende nach war Todorina, ein junges Mädchen aus Spanchevtsi, hochgestiegen zur Spitze eines der zwei Berge. Dort steckte sie ihre Spindel in den Boden, um die jungen Männer im Dorf auf sich aufmerksam zu machen. Das würde heute nicht mehr funktionieren, nehme ich an. Todorina musste feststellen, dass sich ihr Kleid in der Spindel verfangen hatte, worüber sie so sehr erschrak, dass sie tot umfiel. Würde heute auch keiner jungen Frau passieren, wer kann denn noch mit einer Spindel umgehen? Nun gut, eine Legende. Und weil die Spindel im Dialekt „Kukla“ genannt wird, heißen die Berggipfel Todorini Kukli. Das wird dann jedoch nicht als Todorinas Spindel übersetzt, sondern als Todorinas Puppen. Eben, eine Legende.

Am Kloster eingetroffen, suchten wir die Klosterkirche und vergewisserten uns, dass die Messe um vier Uhr stattfinden wird. Dies wurde auf einem Zettel am Eingang bestätigt. Rumen besorgte uns zwei Kerzen, die nicht nur als Eintrittskarte dienten, sondern auch angezündet wurden, um sie am Kerzenplatz für die Lebendigen und die Verstorbenen einzustecken. Es gibt eine Wanne mit Sand, die auf Brusthöhe angebracht ist. Das ist der Ort für das Gedenken an die Lebenden. Die Kerze lässt sich leicht einfügen und brennt dort noch eine ganze Weile. Eine etwas tiefer liegende Wanne ist nur durch Bücken zu erreichen. Sie dient dem Gedenken an die Verstorbenen. Rumen steckte seine Kerze dort in den Sand.

Wir saßen pünktlich im Gestühl der Kirche und warteten auf den Popen. Von den Nonnen, die dies Kloster betreiben, war nur eine zu sehen. Eine in ein schwarzes Übergewand gekleidete Frau saß hinter dem Stand mit den Kerzen und Devotionalien. Gefragt, ob denn die Messe heute nicht stattfindet, erwidert sie, diese beginnt um sechs Uhr. Zwei Stunden später und entgegen der Bekanntmachung an der Eingangstür. Bulgarien eben. Es muss nicht immer stimmen, was man auf Schildern lesen kann. Deshalb fahren so viele Bulgaren auch ohne Rücksicht auf Verkehrszeichen und -vorschriften, denke ich mir. Nun also keine Messe, es sei denn, wir warten zwei Stunden. Dies wollten wir jedoch nicht, schauten uns noch ein wenig um und machten uns wieder auf den Heimweg.



Das Kloster ist den beiden geweiht, die wir schon letzten Montag feierten, offiziell heißt es „Klisurski-Kloster der Heiligen Kyrill und Method“. Die ganze Anlage macht einen sehr gepflegten Eindruck. Man kann hier auch Zimmer mieten und sich eine Auszeit nehmen.

Spannender Podcast! Ich sehe das Thema Auswandern allerdings anders: Für mich liegt gerade im Unbekannten der Reiz einer Auswanderung. Neue Menschen kennenzulernen ist doch der Schlüssel, um ein neues Land wirklich zu verstehen. Klar, es kann helfen, vorher schon Leute zu kennen – aber die Gefahr ist groß, in einer kleinen, vertrauten Blase hängen zu bleiben. Wichtiger war für mich, offen zu sein für neue Begegnungen und die Sprache zu lernen – in meinem Fall waren es gleich zwei. So erschließt man sich Land und Leute und bleibt hungrig auf Neues. Meine Meinung. Aber bekanntlich hört jeder auf einen anderen Trommler.