Spaltung

Es ist lange her, dass ich eine Axt in der Hand hielt, um einen Holzklotz zu spalten. Es war auf dem Bauernhof am Rande unseres Dorfes. Dort gab es nicht nur Kühe, die mit frischem Gras oder weniger frischem Heu versorgt wurden. Es gab auch einen Herd in der niedrigen Küche, der befeuert werden musste. Besonders im Winter, wenn auch die gute Stube warm gehalten sein wollte, gab es großen Bedarf an gehacktem Holz. Dies lag zwar hochgeschichtet an einer wettergeschützten Außenwand des Gebäudes, doch ab und an wurde auch Nachschub benötigt. Nach dem Zersägen der mal mehr, mal weniger dicken Baumstämme, stand das Spalten an.

Daran muss ich denken, wenn ich mal wieder von der Spaltung unserer Gesellschaft lese. Da hackt jemand mit kräftigem Schlag auf etwas ein und teilt es in zwei Teile. Das Etwas ist unsere Gesellschaft. An dieser Stelle beginnt mein Unvermögen, diesem Bild von der Spaltung zu folgen. Unter einer Gesellschaft versteht man die „Gesamtheit der Menschen, die zusammen unter bestimmten politischen, wirtschaftlichen und sozialen Verhältnissen leben“, sagt das Oxford Dictionary. Bei Wikipedia lässt sich nachlesen, wie unterschiedlich soziologische Schulen diesen Begriff definieren. Mit der Warnung vor der Spaltung unserer Gesellschaft wird gleichsam vermittelt, dass es sich hier um einen homogenen Block handelt, der nun in zwei Teile gespaltet würde. Dass es viele unterschiedliche Menschen mit vielen unterschiedlichen Interessen und Haltungen gibt, wird hierbei unterschlagen. Auch, dass diese Interessen von Zeit zu Zeit stark variieren können.

Gestern noch telefonierte ich mit einem Bekannten, der sich mit zwanzig anderen Menschen zusammengefunden hat, um ein gemeinsames Wohnprojekt in Bremen zu verwirklichen. Sie wollen selbstorganisiert und möglichst unabhängig von Vermietern ihr eigenes Haus bauen und dort gemeinsam leben. Als Rechtsform wählten sie die Genossenschaft, um das gemeinsame Eigentum vor Immobilienhaien oder Erblassungen zu schützen. Auch dies ist, im Kleinen, eine Gesellschaft. Und wenn es ihnen gelingt, ihre ab und an auftretenden Meinungsverschiedenheiten zu klären und zu regeln, dann müssen sie vor Spaltung keine Angst haben. Vielleicht ist es an der Zeit, sich gegen Bilder zu wehren, die uns aufgedrängt werden. Hier die Gesellschaft als monolithischer Block, dort ein von Außen kommendes Übel, das diesen Block in zwei Hälften spalten möchte. Wir mögen zwar definitorisch in einer Gesellschaft leben, doch sind es Individuen, die darin ihr Leben gestalten und bewältigen. Wenn es mir gelingt, nicht in Zuschreibungen, Etiketten und Verallgemeinerungen zu denken, dann kann mich das Gespenst der Spaltung nicht ängstigen. Das Bild vom Ameisenhaufen hilft mir da weiter: Wie sollte dieser gespalten werden?


Abbildung: Chmee2 – Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0

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