Udo Lindenberg hat einmal Lieder aus den 20er Jahren zusammengetragen und unter dem Titel „Hermine“ veröffentlicht. Es sind sehr schöne darunter wie zum Beispiel ein Lied von Hildegard Knef. Im Refrain heißt es dort:
So oder so ist das Leben
so oder so ist es gut
So, wie das Meer ist das Leben
Ewige Ebbe und Flut …
Das ging mir eben durch den Sinn, nachdem ich Kerstin um Hilfe gebeten hatte. Sie möge mir helfen bei der Entscheidung, die ich schon seit Tagen mit mir herumtrage. Ich hatte mir ein Handy besorgt mit dem datensicheren Betriebssystem „GrapheneOS“. Darüber hatte ich hier schon mal geschrieben, dass es doch Möglichkeiten gäbe, sich vor Datenklau zu schützen. Man müsse nur ein Handy nutzen, das nicht nach Cupertino oder Mountain View Daten sendet. Nun wollte ich meinen Worten Taten folgen lassen. Eine innere Stimme sagte mir, ich solle nicht nur reden/schreiben, sondern etwas tun.
Also schaffte ich mir dieses umgebaute Pixel 8 Handy an. Ich hatte zuvor schon einen Artikel darüber gelesen und mich an die kleine Firma in Essen gewandt, die diese entgoogelten Handys anbietet. Seit letztem Samstag liegt das Gerät auf meinem Schreibtisch. In fast jeder freien Minute habe ich mich mit ihm beschäftigt. Vor allem ging es mir darum, herauszufinden, ob denn all die Apps meines iPhones auch auf dem neuen System lauffähig sind. Dafür erstellte ich mir eine Liste und arbeitete sie Stück für Stück ab. Die meisten Apps, die nicht zum Apple-iPhone gehören, lassen sich installieren. Auch meine Banking-Apps und die der Deutschen Bahn. Für manche Bequemlichkeit aus der Apple-Welt konnte ich Ersatz finden. Zum Beispiel nutze ich gerne die Notizen-App. Alles, was ich darin notiere, erscheint auch auf meinem iMac und dem iPad.
Diese Einfachheit in der Benutzung weckt Begehrlichkeiten. Das soll so einfach bleiben. Die bisherigen Nutzungsgewohnheiten sollen trotz neuer Umgebung weiterhin möglich sein, denke ich mir. Die Installation mancher Anwendung ließ sich nur nach langen Recherchen verwirklichen. Dass ich nicht schon am zweiten Tag aufgab, lag daran, dass ich einen Blogartikel fand, worin mir Schritt für Schritt die Umstellung erklärt wurde. Kerstin machte mich gestern darauf aufmerksam, dass ich trotz neuem Handy noch immer in der Apple-Welt verkehre, mein iMac, mein iPad, das sind Apple-Geräte. Heute morgen kamen mir wieder Zweifel. Muss ich mir das antun und mehrere Tage für die Umstellung investieren? Wozu? Um sagen zu können, ich hätte meinen Worten Taten folgen lassen? Um zu Beweisen, dass ich ein abhörsicheres Handy besitze? Wen würde das interessieren außer mir?
Heute Morgen, als ich Kerstin um Entscheidungshilfe bat, da sagte ich zu ihr, die Anschaffung und Nutzung dieses Handys sei ein Feigenblatt. Womit ich mir das Argument zu meiner Entscheidung selbst gegeben hatte. Ich könnte mir und meiner Mitwelt beweisen, konsequent zu sein und mich vor Datenklau abzusichern. Allerdings nur solange ich unterwegs bin. Sitze ich an meinen Geräten zuhause, ist alles wie gehabt. Wie sagte Karl Kraus so schön? „Die Konsequenz ist ein Kobold, der in engen Köpfen haust.“ Nun, dann befreie ich mich von diesem Kobold und nutze weiterhin das iPhone. Wenigstens teilweise kann ich mich auch schützen gegen das Tracking durch Werbetreibende und andere Datenanalysten, indem ich Add-Blocker verwende.
Wie leicht verfalle ich noch in ein Entweder-Oder und das Schwarz-Weiß Denken. Dabei hatte ich mir doch vorgenommen, das Sowohl-als-auch zu leben. Es ist dem natürlichen Auf und Ab von Ebbe und Flut angemessen und mehr dem Lebendigen zugewandt.