Ich musste nachschauen, wie man das schreibt. Bisher kannte ich den Namen dieses Sicht- und Lichtschutzes nur vom Hören-Sagen. Unsere beiden Fenster zur Straße werden von ihnen bedeckt. Auch das Fenster nach hinten zum Garten. Vorne dienen sie dem Sichtschutz, hinten dem Lichtschutz. Wenn ich abends das Licht einschalte, dann lässt sich von der Straße aus gut in unsere Wohnung schauen. Bin ich abends unterwegs, dann suche ich die Fassaden der alten Häuser ab nach beleuchteten Fenstern. Oft sind diese ohne Vorhänge, ohne Plissees und geben den Blick in Wohnungen frei. Da gibt es Küchen mit Hängeschränken, Badezimmer mit Spiegelschränken, Wohnzimmer mit Bücherregalen, Wohnzimmer mit Fernsehern so groß wie Plakatwände. Kinderzimmer mit bunten Tüchern, bunten Wänden und Etagenbetten. Manchmal ist ein Zimmer leer, eine Glühbirne hängt von der Decke, es wird renoviert. Einmal sitzt eine Katze auf dem Fensterbrett, schaut nach draußen zu mir, der nach drinnen schaut zu ihr.
Ein anderes Mal konnte ich durch eine ganze Wohnung sehen. Das Bremer Reihenhaus hat ein Zimmer zur Straße und eines zum Garten. Beide sind durch eine große Flügeltür getrennt. Steht diese offen und die Zimmer sind beleuchtet, dann ist der Blick frei von vorne bis hinten. Wenn ich beim Fenstergucken nicht aufpasse, dann stoße ich mit jenen Fußgängern zusammen, die auf ihr Handy starren. Beide schauen wir während des Laufens auf das, was nicht auf dem Weg liegt. Bildschirm hier, beleuchtete Fenster dort. Wie wäre es, so stelle ich mir vor, wenn ich blind wäre. Mit einem Blindenstock tastete ich mich über den Bürgersteig. Mit gespitzten Ohren verfolgte ich das Geräusch des Stockes. Bleibt er irgendwo hängen, dann muss ich mich neu orientieren, tastend den Weg finden.
Vor vielen Jahren arbeitete ich in einem Getränkemarkt. Dort begegnete mir regelmäßig ein Blinder mit seinem Blindenstock. An der Spitze seines Stockes befand sich eine Kugel so groß wie ein Golfball. Diese schwang er hin und her über die Bodenoberfläche. Dabei eilte er mit großen Schritten seinem Ziel entgegen. Auf seine Schnelligkeit angesprochen, erwiderte er, es immer eilig zu haben. Offenbar war er auch sehr geübt in der Handhabung seines Stockes. Eines Tages stand er vor meiner Kasse und legte seinen 6er Pack Bier aufs Band. Ich schaute ihn an, seine Augen waren halb geöffnet und ein wenig trüb. Das kannte ich schon. Neu jedoch war ein Veilchen, das um sein linkes Auge blühte. Wie das passiert sei, wollte ich wissen. Er sei so schnell unterwegs und das würde gut klappen die meiste Zeit. Doch jetzt, wenn die Bäume Früchte tragen, dann hängen die Äste tief auf den Gehweg herab. Die könne er nicht sehen. Die Gartenbesitzer dächten nicht daran, was ihre Bäume anrichten können.
Ich bin froh, dass ich sehen kann. Ich schaue mich gerne um in meiner Gegend und besonders gerne schaue ich den Leuten in die Fenster. Meine Fenster verschließe ich sobald es dunkel wird. Dann werden die Plissees hochgezogen, gegen die Blicke von Außen. Vielleicht würde ich meinen Mitmenschen eine Freude bereiten, wenn auch sie in unsere Wohnung schauen dürften. Allerdings, so fällt mir auf, laufen die meisten Menschen irgendwelchen Zielen entgegen. Sie haben es eilig, schauen nicht rechts noch links. Andere fesselt beim Laufen ihr beleuchteter Bildschirm. Für einen Blick in ein helles Fenster fehlt ihnen die Zeit. Und, wie würde Kerstin sagen: Wen interessiert schon unsere Inneneinrichtung? Dennoch gelingt es mir nicht, die Fenster unbedeckt zu halten. Allein das Wissen, dass ich beobachtet werden könnte, erzeugt ein Unbehagen, das ich mir ersparen will. Also bleibt es dabei, ab Beginn der Dunkelheit werden die Plissees hochgezogen.
Ich denke, es liegt in der menschlichen Natur, neugierig zu sein. Wir gucken doch alle gerne in fremde Welten, sehen und hören anderen Menschen beim Leben zu. Deshalb lese ich zum Beispiel diesen Blog so gerne. Ein bisschen Voyeurismus ist doch schön. Wie Kino – nur ohne Popcorn und mit mehr Nachbarn.