Perfekt

Nein, nicht der lateinische Begriff für die vollendete Vergangenheit ist hier gemeint. Mir geht es um eine perfekte Handlung, eine perfekte Lösung, eine perfekte Gestalt. Manchmal, da kommt mir die Frage nach Perfektion in den Sinn. Meist dann, wenn ich mit einer meiner Lösungen zufrieden bin. Dann mischt sich eine innere Stimme in mein Leben und fragt, ob es denn wirklich perfekt sei, was ich da erstellt oder geschrieben oder repariert habe. Perfekt? Im Rahmen meiner Online-Kurse mit Teilnehmern, die überwiegend aus der gewerblich-technischen Ausbildung kommen, da begegnet mir oft der Begriff Qualität. Junge Menschen, die eine Ausbildung durchlaufen, die einen Beruf erlernen, werden darauf getrimmt, Qualität zu erkennen und zu berücksichtigen.

Ist ein Werkstück so gesägt, gefeilt und geschliffen, dass es den vorgegebenen Maßen entspricht, dann erfüllt es die Qualitätskriterien. In solch einem Rahmen ist es perfekt. Die Maße lassen sich mit Hilfe eines Messschiebers ermitteln und mit den Vorgaben vergleichen. Meine Vorgaben für die eigenen Handlungen sind unbestimmt. Es existieren keine Bewertungsbögen für die Funktions- und Sichtkontrollen, die ich durchführen könnte. Mir genügt ein Eindruck. Ich räume die Küche auf, putze die Arbeitsoberflächen, die Töpfe und Pfannen. Mein Blick auf die von mir behandelten Gegenstände und Flächen sagt mir, ob es jetzt sauber ist. Manchmal verrücke ich den ein oder anderen Gegenstand auf der Arbeitsplatte und säubere auch diesen Bereich. Manchmal gehe ich mit meinem feuchten Schwamm auch über die Kacheln und jene Stellen, die von oben oder vorne garnicht einsehbar sind. Manchmal.

Je nach Tagesverfassung bin ich mit meiner Arbeit zufrieden und wende mich anderen Aufgaben zu. Ab und an schaue ich mit fremdem Blick auf mein Werk und sehe, dass es unvollständig ist. Eine andere Person würde andere Ecken, andere Leisten und Flächen mit berücksichtigen. So gelingt es Kerstin immer wieder, mich auf jene Stellen aufmerksam zu machen, die sie wahrnimmt, ich aber nicht. Gut, dass dies nicht ständig passiert, ich würde meine Arbeiten im Haushalt nur noch mit großer Unlust durchführen. Oft schon ist es mir passiert, dass ich einen Text für meine Kursteilnehmer zusammenstellte und bei der Ausgabe feststellen musste, dass die Seitenzahlen fehlen oder Absatzumbrüche nicht ordentlich gesetzt sind. Hätte ich einen zweiten oder gar dritten Blick auf meine Zusammenstellung geworfen, dann wäre mir dies aufgefallen. Stattdessen gehe ich davon aus, das wird schon passen.

In einer der Känguru Geschichten von Marc-Uwe Kling berichtet er von seinem Bruder, der als Bauingenieur eine Baustelle besuchte, um nach dem Rechten zu sehen. Er musst feststellen, dass die Maße einer der Mauern nicht übereinstimmten mit den von ihm gezeichneten Plänen. Gefragt, wie das denn passieren konnte, antwortet ihm der schwäbische Polier: „So ischs halt g’worre.“ So ist es eben geworden, sage auch ich mir, wenn ich bemerke, dass das Ergebnis meiner Küchenarbeit Kerstins prüfendem Blick nicht standhält. Mich spornt es dann nicht an, meine Ergebnisse zu verbessern. Ich erinnere mich eher an eine Sequenz in einem Film mit Marius Müller-Westernhagen. Darin bewirbt er sich als LKW-Fahrer bei einer Spedition und soll den 30-Tonner rückwärts einparken auf dem Hof. Als er aussteigt, stellt er fest, dass ihm ein perfektes Einparken gelungen war. Es besteigt erneut das Führerhaus, fährt den LKW etwas vor, stößt dann zurück und fährt dabei den Außenspiegel kaputt. Er wollte nicht, dass sein neuer Chef glaubt, er sei zu perfekt.


Abbildung von User: K@rl (Schieblehre), Montage by Supperlot – Abgeleitet von: Cifereca ŝovmezurilo.jpg Schieblehre.jpg, CC BY-SA 3.0

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