In meiner Vorstellung wird in einer Werkstatt gehobelt, gefräst, gebohrt und gesägt. Vor allem dann, wenn es sich um eine holzverarbeitende Werkstatt handelt. Was zuvor noch ein Baum war, wird in der weiteren Verarbeitung zu funktionalen oder gar schönen Möbelstücken. Jetzt also sitze ich in einer Schreibwerkstatt und bearbeite Texte. Von morgens neun bis mittags halb eins sitzen sieben Frauen und zwei Männer um einen großen Tisch und werkeln an ihren Texten. Wobei, das Bearbeiten findet überwiegend zuhause statt in den Ferienwohnungen oder Pensionen. Das Zusammensein dient dazu, die Ergebnisse vorzulesen und von allen reihum Feedback zu erhalten. Natürlich ganz besonders fundiertes von der Gastgeberin, Herrad Schenk.
Zu Beginn eines Tages, wenn alle noch etwas Zeit benötigen, um aufzutauen und anzukommen, verteilt Herrad Lockerungsübungen. „Ihr habt jetzt fünf Minuten Zeit einen kurzen Werbetext zu verfassen“, kündigt sie an und verteilt kleine Zettelchen mit Bezeichnungen für unterschiedliche Produktgruppen. „Herren Deo“ steht auf meinem Zettel. Fünf Minuten, Werbetext, was soll das denn? In fünf Minuten, was soll mir da einfallen? Alle schreiben eifrig in ihre Notizbücher, mir fällt nichts ein. Jemand neben mir schlägt schon die nächste Seite auf und mir fällt noch immer nichts ein. Herren Deo. Sowas benütze ich nicht. Werbung schaue ich nicht, was könnte ich da erfinden? Noch drei Minuten. Meine Nachbarin zur linken streicht ihren Text und beginnt von vorne. Männer Deo. „Blue Water“ kommt mir in den Sinn. Ein passender Name. Was dann folgt, passiert fast automatisch. Erfrischend, nachhaltig, ergiebig, Blue Water. Von Sonnenaufgang bis in die Nacht. Das Deo für ihn. Blue Water.
Geht doch, denke ich und bin zufrieden. Reihum wird vorgelesen und kommentiert. Bei all den Texten, die ich höre, bekomme ich leichte Beklemmungen. War ich zu schnell zufrieden mit meinem Machwerk? Als ich dran bin und vorlese, finden das alle sehr gelungen. Selbst die kritische Herrad findet nichts daran auszusetzen. Ein guter Einstieg in die nachfolgenden Übungen. Aus drei selbst gewählten Adjektiven, die uns als Kind beschreiben, sollen wir einen Text erstellen. Diesmal bekommen wir mehr Zeit. Alle vertiefen sich in ihre Arbeit, erinnern Situationen aus ihrer Kindheit und fassen zusammen, was es zu den drei Adjektiven zu berichten gibt. Die Ergebnisse werden vorgetragen und wir erhalten kleine Einblicke in sehr individuelle Kindheitserfahrungen. Die Zeit rennt davon, noch vor dem Ende des ersten Tages erhalten wir den Arbeitsauftrag für zuhause. Einen Text sollen wir erstellen, der einen vorgegebenen ersten Satz beinhalten muss. Und der selbe Satz muss in der Erzählung zweimal wiederholt werden. Er strukturiert die Erzählung, zwingt dazu, den roten Faden im Auge zu behalten. Ich bin gespannt auf die Ergebnisse. Die werden am nächsten Tag vorgetragen.
Hilfreich und lehrreich sind nicht nur die angeleiteten Schreibaufträge. Es sind die Kommentare, die Eindrücke und die ganz pragmatischen Hinweise zum Text. An jener Stelle würde ich kürzen, dieses Adjektiv ist überflüssig, der gedankliche Ausflug in die Vergangenheit war wichtig, das ausufernde Schildern der Situation nicht nötig, da wir doch alle aus der selben Generation sind. So gibt es wirklich gute Tipps, wie ein Text verbessert werden kann, wie eine Geschichte besser funktioniert. Alle am Tisch sind aus der Boomer-Generation, wir teilen viele Erinnerungen. Und wir haben dennoch sehr unterschiedliche Erfahrungen gemacht. Das macht das gemeinsame Schreiben so abwechslungsreich und interessant. Ich freue mich auf die nächsten Tage und die Aufgaben, die wir noch zu bearbeiten haben.
Sobald es trocken ist, verlegen wir unsere Werkstatt in Herrads Garten. Dort unter dem ausladenden Dach einer alten Scheune lässt es sich wunderbar arbeiten, auch wenn es zwischendurch regnet.