Schreibwerkstatt IV

Nachdem wir Begriffe gesammelt hatten zu vorgegebenen Themen wie „Meine Einstellung zum Wetter“, „Was ziehe ich an?“ und dergleichen, durften wir unter Zeitdruck einen kurzen Text hierzu erstellen. Als Hausaufgabe galt es, einen inneren Monolog zu erstellen zum Thema „Essen zubereiten“. Aber. Natürlich mussten auch hier wieder ein paar Bedingungen berücksichtigt und angesprochen werden: Etwas, das mich aktuell besonders beschäftigt. Vier Personen und deren Beziehungen. Eine Erinnerung an früher, ausgelöst durch das Kochen und natürlich auch das Rezept.


Kochen mit Folgen

Besuch ist angesagt. Manuela hat mich beim Frühstück mit der Frage überfallen: „Kümmerst du dich ums Essen? Ich habe das letzte Mal schon gekocht.“ Meine liebe Ehefrau weiß, dass ich nicht gern koche, sie weiß, dass ich eigentlich nicht gut darin bin. Warum tut sie mir das an? Ich hatte noch versucht dagegen zu halten mit Ausflüchten wie „das sind unsere Freunde, die sollten wir nicht vergraulen“. Beim letzten Treffen, als wir bei ihnen waren, gab es so was Abgefahrenes, wie hieß das noch? War es „Chinesich-österreichische Freundschaft“? Fusion Food, nannten sie es. Ein leckeres Pak-Choi-Karotten-Gemüse, wunderbar gewürzt auf asiatischen Nudeln. Danach dieser Kaiserschmarrn, so zart, so schmackhaft. Wie soll ich das toppen? Manuela meint, mir würde schon was einfallen, ich soll bei chefkoch.de nachschauen. Außerdem hätte sie mit ihrem Projekt gerade so viel zu tun und der Abgabetermin sei auf morgen vorverlegt, da könne sie unmöglich auch noch kochen.

Klar, ihr Projekt, als hätte sie das nicht schon vorher gewusst! Lass’ uns absagen, schieben wir dein Projekt vor oder eine Krankheit. Ich könnte meine Magengeschichte vorschützen, davon hatten wir ja erzählt beim letzten Treffen. Nein, Manuela lässt sich nicht umstimmen. Dann muss ich nun dran glauben. Vier Personen, mindestens zwei Gänge. Möglichst nichts Langweiliges wie Kartoffelbrei mit Sauerkraut und Würstchen. Ohnehin kommt Fleich garnicht in Frage, Karl und Tina sind überzeugte Vegetarier. Also vegetarisch. Was könnte ich da zubereiten? Welche Fusion könnte ich anbieten? Deutsch-russische-Freundschaft? Ist politisch nicht korrekt. Und, muss es denn immer so ne Gemengelage sein? Französisch käme doch gut. Manuela und ich sind große Frankreichliebhaber und wenigstens von Tina wissen wir, dass auch sie sich im Urlaub gerne an der Côte d’Azur tummelt. Wie es mit ihrem neuen Lover aussieht, keine Ahnung. Dem bin ich erst einmal begegnet. Komischer Kauz. Bis zum Kinn voll mit Tatoos, ein Nasenring im Ohrläppchen. Flesh Tunnel nennt man das, hatte Tina erklärt. Und wie toll sie das findet, wenn sich einer traut seinen Körper zu modellieren. Modellieren! Ha, dass ich nicht lache! Verunstalten, müsste das heißen. Aber Tina, das kennt man ja an ihr. Sie sucht sich ständig Exoten und nachher weint sie, wenn diese keine Familie, keine Kinder wollen. Französisch also. Ist Ratatouille langweilig? Im gleichnamigen Film war es eine Köstlichkeit. Aber ich bin keine Ratte, die mit Liebe kocht. Trotzdem, es müsste eigentlich machbar sein. Danach als Dessert, eine Crème brûlée.

Ok, das ist doch schon mal ein Plan. Oder ein Einstieg. Auf chefkoch.de finde ich das Rezept. Was sind „m-große Auberginen“? Mittelgroß? Wie groß ist mittelgroß? Dasselbe bei der Zucchini. Die Paprikaschoten müssen nur groß sein, rot und gelb. Tomaten, Zwiebeln, Knoblauchzehen. Rosmarin, Thymian, Salbei und Lavendelblüten. Lavendelblüten, die wachsen doch auf dem Balkon, wenn ich das richtig erinnere. Die anderen Sachen muss ich noch einkaufen gehen, Zucker, Olivenöl, Meersalz und Pfeffer müsste in den Schränken hier zu finden sein. Was brauche ich für die Crème brûlée? Sahne, Vollmilch, Eigelb, Zucker, Vanilleschoten und Zitronenabrieb. Ok, ist notiert. Ich muss nur schauen, dass ich die richtigen Mengen einkaufe. Die richtigen Mengen, das hatte mir mein Chef aufs Butterbrot geschmiert heute morgen. Wenn ich schon höre, dass ich in sein Büro kommen soll! Die Bestellung für Wagner & Co., die Mountain Bikes. Wie denn das passieren konnte. Das hätte mir doch auffallen müssen! Noch nie habe ein Kunde 100 Fahrräder des selben Typs bestellt! Ob ich denn nicht nachdenke beim Arbeiten!? Bla, bla, bla. Vergiss es. Jetzt ist das Essen dran.

Morgen mache ich mich ans Vorbereiten und wenn ich das Timing hinbekomme, müsste das mit dem Kochen klappen. Wein gibts im Keller, da sind auch noch frische Weißweine dabei, wer ’s lieber rot mag, soll sich melden. Ich bin mal gespannt, ob es mir gelingt, die Gewürze so zu dosieren, dass der typische Ratatouille-Geschmack zustandekommt: „Süßlich-herzhaft und aromatisch“, steht im Rezept. Nun, es wird sich zeigen. Was muss ich noch vorbereiten? Nur nichts dem Zufall überlassen, wie vor zwei Jahren. Auch damals waren Tina und ihr, wie hieß er noch, Freund zu Besuch. Auch damals hatte ich die Rolle des Kochs übernehmen müssen, Manuela kam erst abends zurück. Ein Soufflé hatte ich in Angriff genommen. Es lief alles perfekt, die Form war gefettet und mit Zucker ausgestreut. Die Béchamel gelang auf anhieb im Wasserbad, eine richtige Creme entstand. Das steifgeschlagene Eiweiß ließ sich ohne Probleme drunterheben und das Ganze in den vorgeheizten Backofen stellen. 20 Minuten bei 180°, hieß es. Und eine Warnung wurde mitgegeben im Rezept: Die Backofentür nicht öffnen! Klar, warum sollte ich das auch tun. Ich hätte jedoch wissen müssen, dass ich nicht allein bin, dass es noch andere Menschen gibt, die keine Rücksicht nehmen auf Warnungen in einem Rezept. Besonders dann, wenn sie dieses garnicht kennen. Als ich den Tisch deckte, kam Manuela zurück von der Arbeit. Sie stürmte in die Küche, blieb vor dem Backofen stehen und öffnete die Tür. 

Ich war nicht dabei als das wunderbar aufgegangene Soufflé in sich zusammenfiel. Wahrscheinlich wäre ich in Tränen ausgebrochen. Und sie? Meint nur, oh, Entschuldigung, ich wusste ja nicht. Natürlich, woher auch? Das ist noch heute meine Rückmeldung an sie, wenn sie sich beschwert, dass ich irgendwas leergetrunken hatte, das sie noch brauchte. Dass ich irgendwas weggeräumt hatte, das sie noch verwenden wollte. Dass ich irgendwas weggeworfen hatte, das sie unbedingt noch zu einem Gericht verarbeiten wollte. Oh, Entschuldigung, ich wußte ja nicht. Ob der Chef das meinte, als er sagte, ich sei zu schnell? Sollte besser zweimal überlegen, bevor ich etwas tue? Ja, ja, natürlich und sonst waren sie immer zufrieden mit meiner Schnelligkeit. Das war heute morgen, Schwamm drüber. Und Manuela? Sie kann nicht verlangen, dass ich ihre Gedanken, ihre Pläne, ihre Wünsche errate. Damals, nach dem Souflé-Desaster ließen wir Essen liefern. Das wäre dann Plan-B, wenn die Ratatouille oder die Crème Brulée mißraten.