Marktredwitz

Vor kurzem ertappte ich mich dabei, wie ich auf einem Spaziergang eine Teilnehmerin meines Kurses fragte, wo sie denn ursprünglich her käme. Sie hatte erzählt von ihrer Familie, ihren Kindern und davon, dass ihr Wohnort ganz in der Nähe unseres Seminarhauses läge. Was treibt mich, jemanden zu fragen, wo er oder sie „ursprünglich“ herkäme? Ist das die Suche nach Verbundenheit? Bei manchen Antworten wusste ich nicht einmal wo der Ort liegt, der mir da genannt wurde. Selbst auf Nachfrage, wenn mir die Region und das nahegelegene Mittelgebirge genannt wurden, war ich aufgeschmissen. Kam jedoch ein Ort zur Sprache, der mir bekannt war, so konnte ich anknüpfen und von meinen eigenen Erinnerungen erzählen.

Hier in Bremen passierte es mir einmal, dass in solch einem Kennenlerngespräch gesagt wurde, ich komme auch aus dem Süden, vom Bodensee. Das mit dem Bodensee ist für mich immer dann etwas problematisch, wenn der dazugehörige Wohnort hundert Kilometer nördlich vom See liegt. Das zählt für mich nicht. Nun, es schafft Verbindung, jemanden zu kennen, der oder die aus der selben Region, der selben Landschaft oder gar dem selben Ort kommt. Dabei muss das nichts heißen. Es gibt Menschen, die aus der selben Region kommen, mit denen ich lieber nichts zu tun haben möchte. Als ich in der vierten Klasse der Grundschule einen Aufsatz schreiben musste zum Thema „Meine Heimat“, da fiel mir nichts ein. Bis zu diesem Zeitpunkt war ich schon in drei Orten zuhause gewesen, hatte jedoch kaum Zeit, diese als Heimat zu erfahren.

Fragt mich jemand, wo ich denn herkäme, so brauche ich immer etwas Zeit, um diese Stationen meines Lebens zu erläutern. Ich war immer etwas neidisch auf jene, die ganz kurz und bestimmt mitteilten, sie kämen aus Hamburg, Hannover, München oder einfach nur aus Bayern. Es gibt Orte, die erzeugen beim Benennen ganz klare Bilder bei den Zuhörern. Kerstin muss nur sagen, Gelsenkirchen, dann denken alle plötzlich „auf Schalke“ oder „Ruhrpott“ und glauben zu wissen, was es mit dem Herkunftsort auf sich hat. Ich erinnere eine Szene im Südschwarzwald, wir waren Ende der sechziger Jahre dort hingezogen. Es war Winter und ich rutschte mit meinen Skiern vor der Haustüre den Berg hinab, gemeinsam mit den Nachbarskindern. Beim Hinauflaufen hatten wir viel Zeit uns kennenzulernen. Wo kommst du her, fragte mich ein neuer Freund. Ich nannte den vorherigen Wohnort, nicht weit entfernt, unten im Rheintal. Nein, ich meine, wo kommst du eigentlich her, insistierte mein Sportsfreund.

Wenn ich jetzt den Namen meines Geburtsort nenne, dachte ich, dann wird er nichts damit anfangen können. Wer kennt schon Marktredwitz? Also setzte ich an, geboren bin ich in Bayern, in Oberfranken, nahe der Grenze zur Tschechoslowakei, dann haben wir in Bremen gewohnt, anschließend sind wir umgezogen in eine Kleinstadt bei Freiburg. Danach in ein Dorf im Schwäbischen und von dort in die Stadt unten im Rheintal, jetzt hierher in den Südschwarzwald. Mein Freund war verstummt ob so vieler Orte und Regionen. Er erzählte, dass er in diesem Dorf geboren sei, dass er noch nirgendwo sonst gewohnt habe und sich garnicht vorstellen mag, von hier wegzuziehen. Vor einigen Jahren erfuhr ich, dass er noch immer dort lebt, jetzt mit seiner eigenen Familie. In einem Haus unweit dessen, wo er aufgewachsen war, sogar in der selben Straße. Manchmal möchte ich auch so etwas erzählen können. Da sehne ich mich nach einfachen Herkunfstverhältnissen, nach einem Ort, von dem ich sagen kann: Da komme ich her, da bin ich aufgewachsen.

Erst sehr spät konnte ich herausfinden, dass mein Geburtsort nicht unser Wohnort war. Mein Vater arbeitete dort zwei Jahre lang, fand jedoch keine Wohnung für sich und seine Familie. Also blieb die Mutter mit meiner älteren Schwester in Bremen. Sie reiste von Bremen nach Marktredwitz, um ihren Mann zu besuchen. Damals war sie im achten Monat schwanger, eine Geburt der Zwillinge war noch nicht vorgesehen. Doch die Zwillinge entschieden dies anders und mussten im Kreiskrankenhaus zur Welt gebracht werden. Kurze Zeit später ging die Reise zurück nach Bremen, die beiden Neugeborenen wohlgeborgen in einem großen Wäschekorb, so zumindest wurde es erzählt. Ich bin in Marktredwitz geboren, dass war ein Zufall. Eigentlich komme ich ganz woanders her.


Abbildung von Zipacna1 – Eigenes Werk, CC BY 3.0

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