Gestern las ich mal wieder in der Berliner Zeitung. Dort beschwerte sich jemand über sein Berlin, das nicht mehr seines sei. Er berichtet über einen Mann, der in der U-Bahn Station gegen die Fließenwand pinkelt, führt Berichte an über Männer, die mit Macheten aufeinander losgehen, einer Frau, die am helllichten Tag ausgeraubt wird. Er fühlt sich nicht mehr sicher in seiner Stadt.
Ich stolperte über einen Satz, den er gegen Ende seines Artikels formuliert:
Berlin, das ist auch ein wurstiges Schulterzucken ob all der Probleme, die mittlerweile so virulent sind, dass man sich wundert, dass trotzdem irgendwie alles seinen Gang geht zwischen Verrohung und Verwahrlosung im öffentlichen Raum. Trotz all der bräsigen Bürokratie, der Wohnungsnot und dem altbackenen Beharren auf dem Analogen.
Das altbackene Beharren auf dem Analogen zog meine Aufmerksamkeit auf sich (neben dem U-Bahn-Pinkler). Wer sich nicht für „das Digitale“ entscheidet, beharrt anscheinend altbacken auf dem Analogen. Das ist eine Aussage, die alle Menschen diffamiert, die Gründe haben, sich nicht mit Smartphones und Apps durchs Leben zu bewegen. Da sind die alten Menschen, denen der Umgang mit einem Smartphone zu kompliziert ist. Jene, die gerade mal froh sind, dass sie noch SMS schreiben und empfangen können. Die ein Telefon als solches betrachten und nicht als Taschencomputer für jede Lebenslage.
Dann gibt es auch Menschen, die sich schützen wollen vor der Datensammelwut der Plattformen und Digitalunternehmen. Menschen, die sich bewusst darum kümmern, welche Daten sie preisgeben und welche nicht. Es ist kaum möglich, sich vor dem Datenklau zu schützen, denn schon der Gebrauch eines Android- oder Apple-Handys macht uns gläsern. Die Bahn weiß von wo nach wo wir reisen, unsere Banking-App kennt jeden Euro, den wir transferieren und wohin. Auch der eBook Reader, der auf Reisen so bequem das Lesen unterstützt, ist nicht unverfänglich: Der Anbieter kennt nicht nur unsere Vorlieben an Büchern, auch unsere Lesegeschwindigkeit und -gründlichkeit. Jede Seite, die „umgeblättert“ wird, ist auf einer ihrer Datenbanken vermerkt.
Ich könnte weitere Beispiele anführen, die mich dazu bewegen das Thema „Digitale Mündigkeit“ hier anzusprechen. Einen eher minimalen Schutz gegen die Datenkraken erhalte ich über den Verzicht auf „soziale“ Medien, das Nutzen einer VPN (Virtual Private Network) und das Ausschalten jeglicher Optionen zur Datensammlung auf meinen Geräten. Eigentlich müsste ich mir ein Gerät zulegen, das mit einem Betriebssystem ausgestattet ist, welches nicht ständig mit Cupertino (Apple) oder Mountain View (Google) telefoniert. Es gibt sie, diese Betriebssysteme wie zum Beispiel GrapheneOS, LineageOS und andere. Aber: Wenn ich eines dieser Betriebssysteme nutze, dann kann ich meine Banking-App nicht mehr gebrauchen und die Apps zur Authentifizierung meiner Anmeldung auf diversen Webseiten funktionieren nicht mehr. Es ist also unbequem.
Bequemlichkeit und Faulheit sind die Gründe, weswegen die Menschen sich so vieles gefallen lassen, sagte einmal ein Spülmaschinen-Monteur als er in unserer Küche stand und die Pumpe ausbaute. Er hat ja Recht. Daher habe ich heute beschlossen, es mir nicht gefallen zu lassen, dass meine Patientendaten gesammelt und ausgewertet werden über die elektronische Patientenakte. Diese soll ab dem 15. Januar 2025 für alle Menschen in Deutschland aktiviert werden. Ich habe das „Opt-Out“ wahrgenommen und meinen Widerspruch eingelegt.
Wer mehr über alternative Betriebssysteme wissen möchte, kann sich bei Mike Kuketz schlau machen – auch bei generellen Fragen zum Datenschutz.
Sehr engagiert zum Thema Datenschutz sind die Frauen und Männer von digitalcourage. Sie vergeben auch jährlich den Big Brother Award an jene Unternehmen und Institutionen, die es ganz besonders weit treiben mit ihrer Datensammelwut.
Wer sich einlesen möchte zum Thema „Digitale Mündigkeit„, dem empfehle ich das gleichnamige Buch von Leena Simon.
Abbildung: Von user: Joergens.mi – Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0