Wer dieser Rumen sei, fragt Herbert in seinem Kommentar und ich möchte dies gerne berichten. Als ich im Jahr 2022 nach Bulgarien reiste, da kannte ich Rumen nur aus seinen Blogbeiträgen (Autofiktion) und seinem Beitrag im Online-Magazin Multipolar „Bulgarien – die große Freiheit“. Vor allem dieser Beitrag aus dem Jahr 2021 hat ihn sehr für mich eingenommen. In meinem damaligen Blog, den ich später vom Netz nahm, um ihn als kleines Buch zu verarbeiten, da hatte ich folgendes über unser Kennenlernen geschrieben:
Denke ich an Frankreich, dann fallen mir Landschaften, Situationen, Geschichten und Menschen ein, die ich mit diesem Land in Verbindung bringe. Ebenso ergeht es mir mit anderen Ländern. Manche kenne ich durch eigenes Erleben (als Tourist), andere über Erzählungen von Bekannten oder Freunden oder aus Büchern und Berichten. Bulgarien kam mir nie in den Sinn. Es fiel mir auch nichts dazu ein, wenn mich jemand dazu fragte. Es fragte mich auch nie jemand. O.k., die Pflegerin des alten Herrn in der Nachbarschaft kommt aus Bulgarien. Manchmal sehe ich auch Autokennzeichen mit dem Länderkürzel BG. Das sind meistens Lieferwagen auf Autobahnen oder Tieflader mit alten Pkws auf dem Weg in den Osten. Bulgarien ist, wie Rumänien, einfach nur irgendwo im Osten.
Mit Corona hat sich mein Weltbild geändert. Nicht nur hinsichtlich meines Vertrauens in die Kritikfähigkeit und Ausgewogenheit der deutschen Presse und ihrer Vertreter. Auch mein Vertrauen in die Rationalität politischen Handelns ist mir verloren gegangen. Dies hatte zur Folge, dass ich mir meine Informationen fernab der öffentlich-rechtlichen Medien und der deutschen Leitpresse besorgte. Die fortschreitenden Anfeindungen und Diskreditierungen von Andersdenkenden machte mir Angst. Die Drohung mit einer Zwangsimpfung ebenso. Tatsächlich ertappte ich mich dabei, darüber nachzudenken, wohin ich auswandern könnte. Oder wo ich mich aufhalten könnte bis der Pandemie-Wahn vorüber wäre. Wo können Menschen mit anderen Ansichten oder kritischem Denken noch frei und unbesorgt ihr Leben führen? Diese Frage ging mir durch den Kopf als ich auf Multipolar.de einen Artikel las von einem, der es getan hatte. Ein ehemaliger, heute weiß ich, „trockener“ Taxifahrer, aus Berlin war einfach in die Schluchten des Balkans verschwunden und berichtete von dort. Wow! In meiner Vorstellung war dieser Schritt nicht nur mutig, sondern auch konsequent. Außerdem berichtete dieser Mensch auf seinem Blog tagtäglich über das Leben in seinem Fluchtland und über seine Einstellungen zu Deutschland aus der Ferne.
Der hat sich weggemacht nach Bulgarien, dachte ich mir. Den muss ich kennenlernen. Also schrieb ich eine Mail, worin ich ihn fragte, ob ihm irgendwelche Orte in Bulgarien bekannt sind, wo sich eventuell andere Geflüchtete aufhalten. Also, solche, die wie er das Leben in Deutschland nicht mehr ertragen haben. Rumen antwortete mir umgehend, berichtete von „seinem“ Bürgermeister, der ein Haus verkaufen möchte, dass noch einiges an Renovierung bedarf. Was ist das für einer, fragte ich mich, der hat einen eigenen Bürgermeister. Meine bisherigen Erfahrungen mit Bürgermeistern sind eher von Distanz und Unzugehörigkeit geprägt. Aber einen Bürgermeister sein eigenen zu nennen, das machte mich neugierig. Mittlerweile hatte ich mich auch durch sein Blog-Archiv gelesen und versucht, mir ein Bild zu machen von diesem Menschen dort in Bulgarien. Da gab es etwas in seinen Texten, das mich anzog. War es der Humor, der zwischen den Zeilen durchschimmerte? Die Art des Erzählens und seine wiederholten Hinweise auf seine Zeit als Taxifahrer in Berlin? Ich bin auch Taxi gefahren in jungen Jahren aber nur in einer Kleinstadt mit 15.000 Einwohnern. Dabei bin ich die meiste Zeit gestanden und habe auf Fahrgäste gewartet. Eine sehr produktive Zeit für mich als Leseratte! Rumen aus den Schluchten des Balkans wurde mir ein Seelenverwandter, wobei ich noch nicht genau sagen kann, warum und wodurch. Mir gefallen weiterhin seine Berichte aus Bulgarien und seine Sicht auf das, was hier in Deutschland passiert. Besonders interessant finde ich die Hinweise auf die Lebenshaltungskosten dort und die Mentalität seiner Mitmenschen. Es scheint mir alles sehr sympathisch und sehr unkompliziert, was er von dort beschreibt.
Noch vor meiner ersten Kontaktaufnahme per Mail hatte ich Rumen eine Spende zukommen lassen. Mir war, als sei diese ganz persönliche Spende mehr wert als meine sonstigen Ablasshandlungen gegenüber Greenpeace, Ärzte ohne Grenzen oder sonstigen gemeinnützigen Organisationen. Rumen war kein Objekt meiner Gewissensberuhigung. Es war mir wichtig und machte mir Freude, ihn in seiner Situation zu unterstützen. Zu den regelmäßigen Geldspenden gesellten sich ebenso regelmäßige E-Mails, die wir austauschten. Nachdem ich wusste, dass auch Rumen ein Bücherwurm ist, machte es mir besonders viel Freude, ihm das ein oder andere Buch zukommen zu lassen.
Dieser Rumen dort in Bulgarien wuchs mir ans Herz und ich weiß noch immer nicht, warum. Mit der Zeit machte sich der Gedanke breit, dass ich ihn und dieses Land kennenlernen möchte. Ich wäre früher nie auf die Idee gekommen nach Bulgarien zu reisen. Schon gar nicht, um dort Urlaub zu machen. Nachdem auch Kerstin an einem gemeinsamen Aufenthalt dort Interesse zeigte, war es kein großer Schritt mehr zur Buchung eines Fluges. Und mit der Gewissheit dort in eine fremde Kultur, eine fremde Sprache und sogar Schrift einzutauchen, wuchs meine Furcht vor dem, worauf ich mich einlassen würde. Wie kann ich so naiv sein, ein Land auf eigene Faust bereisen zu wollen, wovon ich nur vom Hören-Sagen weiß und dessen Sprache ich nicht verstehe?
Etwas später noch berichtete ich über meine Besorgnisse ob unseres ersten Zusammentreffens:
Zur geistigen Vorbereitung zählt für mich auch (neben einiger Lektüre zu Land und Leuten) die Frage, wie es sein wird, dem Berliner Taxifahrer in den Schluchten des Balkans ein erstes Mal zu begegnen. Werden wir überrascht sein über unser Aussehen im „Real Life“? Ich traf einst einen Online-Kurs Teilnehmer in echt und konnte fast nicht glauben, dass dieser so groß gewachsen war. Auf dem Bildschirm sah ich ihn nur ab Brust aufwärts und wähnte ihn auf gleiche Größe wie ich. Werden wir befangen sein beim ersten Treffen ob der Situation in der Fremde (für mich) und der Wahlheimat (für ihn)? Ist das Sprechen befremdend, wo wir uns bisher doch nur schriftlich begegneten? Wird uns eine (Un-)Art im Sprechen, im Bewegen oder an der Kleidung triggern und eher auf Abstand halten?
Ich wünschte mir, unbefangen sein zu können. Manchmal gelingt es mir. Immer dann, wenn ich daran denke, dass vieles sich fügt im Leben, wenn man den ersten Schritt ins Neue gewagt hat. In meinem Nachbarort im Süden Deutschlands wohnte Hermann Hesse Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts. Aus seinem Gedicht „Stufen“ stammt das Zitat „Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, der uns beschützt und der uns hilft zu leben.“ Daran erinnere ich mich gerne, wenn mir zweifelnde oder gar ängstliche Fragen zu meinem Vorhaben in den Sinn kommen.
Und wie schon Hesse wusste, es ergab sich alles wunderbar. Wir fuhren damals nach Spanchevtsi, besuchten Rumen und fanden einen sehr sympathischen und zugewandten Menschen, der mir noch heute wichtig ist für Begegnungen, Gespräche und gemeinsame Unternehmungen.
Hierzu kommentierte Herbert:
Du hast Glück gehabt – deine ursprünglich virtuelle Bekanntschaft war ja offenbar ein Volltreffer! Ich bleibe da lieber vorsichtig: Online bleibt für mich online. Spart Nerven – und böse Überraschungen. Ausnahmen bestätigen offenbar die Regel.