Io voglio te

Ich spreche kein Italienisch. Daher verstehe ich nur wenig davon, was Gianna Nannini singt. Manchmal lasse ich mir ihre Texte übersetzen und weiß, warum mich der Klang ihrer Stimme so sehr berührt. Plötzlich passt mein Gefühl zum übersetzten Text. Ach, denke ich, das ist interessant, da geht es um einen, den sie will. Io voglio te – ich will dich. Und nicht nur das, sie singt „Entweder du oder niemand.“ Nein, nicht dass ich dies auf mich münze. Ich bin schon vergeben und ich bin es gern. Sehr gern.

Manchmal komme ich mir vor wie ein sentimentaler Knochen, wenn ich merke, dass mich ein Lied und ein Text berühren. Und ich möchte aufpassen, dass mir dies nicht zu oft passiert, ich habe Angst, mich in solchen Gefühlszuständen zu verlieren. Aber von Zeit zu Zeit, da begebe ich mich gerne in diese Art der Rührseligkeit. Dann möchte ich Italienisch können, möchte solche Texte sprechen und verstehen.

Das lässt sich lernen, sagt eine Stimme in mir. Dafür gibt’s Tools. Die machen es einfach, das ist nicht mehr wie damals als für die Schule Vokabeln gelernt (gepaukt?) wurden. An unserer Schule stand auf Latein an der Außenwand, gleich neben dem Haupteingang: Non scholae, sed vitae discimus. Nicht für die Schule, für das Leben lernen wir. Ach, tatsächlich? Wie viel von all dem, was mir beigebracht wurde, was ich auswendig lernen musste, ist mir in Erinnerung geblieben? Recht wenig.

Ich erinnere mich an einen Song von Christof Stählin, darin fragte er, „Was haben wir alles gelernt und nicht verlernt?“. Er erinnert an die Rundbögen, die uns anzeigen, dass eine Architektur romanischen Ursprungs ist. Wohingegen die Spitzbögen an die Gotik erinnern. Mir fällt der Klassiker einer Eselsbrücke ein: „333 bei Issos Keilerei“. Was dort in Issos geschah, wer dort auf wen eingeschlagen hatte, das erinnere ich nicht. Offensichtlich musste ich damals nur das Datum kennen, um in einer Geschichtsarbeit mit Wissen zu glänzen. Heute gibt es Wikipedia, wo sich nachlesen lässt, warum dieses Datum so wichtig zu sein scheint.

Von trägem Wissen ist heute die Rede. Das Wissen über Sachverhalte, Themen und Begriffe tragen wir mit uns herum und sie waren einmal wichtig, um von Klassenstufe zu Klassenstufe zu gelangen. Mein Englischlehrer zwang uns den Grundwortschatz Englisch auswendig zu lernen. Jedes Mal, wenn er morgens den Klassenraum betrat, entstand eine Atmosphäre der Angst. Er legte seine Aktentasche auf das Pult (das gab es damals noch) und zog sein rotes Notenbüchlein aus der Innentasche seines Sakkos. Dann schlug er die passenden Seiten auf und fuhr mit dem Zeigefinger über die Namen. Wen wird er aufrufen dieses Mal? Wer wird bestehen oder sich blamieren vor der ganzen Klasse? So lassen sich englische Vokabeln zwar lernen, doch sie verbinden sich mit der damaligen Furcht vor Beschämung und Misserfolg. Der Spracherwerb wurde mir derart zur Qual und ein lustvolles Lernen einer anderen Sprache zunichte gemacht.

Ich habe damals für die Schule gelernt. Und für die Ansprüche meiner Eltern. Heute lerne ich für mich und auf eine für mich passende Art. Das geschieht in Begegnungen mit anderen Menschen, in gemeinsamen Erfahrungen und Erlebnissen. Das Wissen lässt sich abrufen, die Erfahrung nicht.


Abbildung: Stefan Brending, Lizenz: Creative Commons by-sa-3.0 de

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert