Return to sender

Als mein Schwiegervater Geburtstag hatte, seinen fünfundachtzigsten, da fragten wir uns, was wir ihm denn schenken könnten. Er hat doch schon alles, meinte Kerstin. Auch bei unseren gleichaltrigen Freunden taucht diese Frage auf, denn meist haben auch diese schon alles. Was natürlich nicht stimmt, denn wer von ihnen hat schon einen echten van Gogh im Wohnzimmer hängen oder einen Porsche in der Garage? Aber um solche Luxusgüter geht es gar nicht. Es sind die kleinen Dinge, die zumeist vorhanden sind oder Jahre zuvor schon einmal verschenkt wurden. Bei Büchern ist es schwierig, denn wer weiß, ob der Beschenkte den Titel längst gelesen hat? Oder Gegenstände des täglichen Bedarfs, wie kann ich wissen, was gebraucht oder honoriert wird? Trinkt meine Freundin noch Rotwein und wenn ja, welchen? Isst sie gerne Schokolade oder freut sie sich über andere Spezereien? Schwierig.

Aus Verlegenheit muss dann ein Gutschein herhalten. Soll sich die Beschenkte doch ihr Buch, ihr Küchenutensil, ihre App oder sonst was selber auswählen. Auch bei unseren erwachsenen Kindern fällt das Beschenken schwer. Denn sie haben fast alles, was sie brauchen. Gefragt, was es sein dürfte zu ihrem Geburtstag, bleiben sie lange stumm. Es fällt ihnen nichts ein. Nun wollen die Eltern partout ein Geschenk machen, also willigt das Kind ein und sagt ja zu dem einen oder anderen Vorschlag. Ein Reis-Abonnement, ein Anteil an einem Olivenbaum, mit halbjährlichen Reis- oder Olivenöl Erträgen direkt nachhause. Ob so viel Reis, so viel Olivenöl überhaupt gebraucht wird? Egal, es lässt sich ja weiter verschenken. Manchmal kommen bei uns Geschenke an, die wir liebevoll als „Stehrümmchen“ bezeichnen.

Ein Gegenstand, der irgendwo aufgehängt, aufgestellt oder ausgebreitet in der Wohnung seinen Platz finden will. Ein Kalender, ein Fotoalbum, ein Salz- und Pfefferstreuer (der dritte), ein Kochbuch (das vierzehnte), ein Handyhalter, der das freihändige Lesen von Nachrichten erlaubt aber für das eigene Handy viel zu groß ist. Manche Geschenke liegen in der Schublade und werden herausgeholt, wenn die Freunde zu Besuch kommen. Ach, wie schön, ich dachte mir doch, dass ihr das gut gebrauchen könnt, heißt es dann. Es sind diese unausgesprochenen Lügen, die als sozialer Kitt die Beziehungen aufrecht erhalten. Manche nennen sie auch „weiße Lügen“. Vor Jahren begegnete mir ein Ehepaar, das für sich eine Lösung gefunden hatte. Damit das Beschenken nicht ganz wegfällt, schenkten sie sich gegenseitig, was sie selbst gerne bekommen hätten.

Die Tante einer guten Freundin zeichnete sich dadurch aus, dass sie noch während des Auspackens ihren Unmut äußerte und das Geschenk zurückwies. Ich weiß jedoch nicht, ob sie ein zweites Mal wieder beschenkt wurde. In manchen Kulturen dürfen Geschenke nicht im Beisein des Schenkenden ausgepackt werden. Es entgleiten einem ja häufiger mal die Gesichtszüge beim Anblick eines Geschenks. Als Kind gelang es mir sehr selten, meine Enttäuschung zurückzuhalten. Wenn unter dem Weihnachtsbaum statt des ersehnten Spielzeugs ein Paar Strümpfe lag, hörte ich die Frage „Ja freust du dich denn garnicht?“. Nein, ich freute mich nicht. Wie wäre es, denke ich mir heute, wenn es gelänge, ein Geschenk wieder zurück zu geben. Mit den Worten, vielen Dank für deine Mühen, doch bevor ich dein Geschenk in der Schublade verschwinden lasse, sende ich es dir zurück. Vielleicht hast du eine andere Verwendung dafür. Return to sender.

Auf die Frage, was dem Schwiegervater denn zu schenken wäre, antwortete er: Zeit. Seit einfach nur da, das ist mir Geschenk genug.

2 Gedanken zu „Return to sender“

  1. Wie schön, dass du diesen wie immer feinsinnigen und tiefgründigen, dabei aber sehr originellen Beitrag ausgerechnet am Geburtstag meiner Frau veröffentlicht hast. Ich habe ihn Lore eben vorgelesen, ihr hat besonders das „Stehrümmchen“ gefallen. Davon gibt es in unserem Haus auch einige. Selbst gemalte Bilder aus Künstlerhand sind großartig, aber nicht immer willkommen. Zeit, die sich dein Schwiegervater wünscht, gibt’s bei uns übrigens immer. Irgendetwas Positives wird man dem Alter ja noch abgewinnen können.

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