Digitalzwang

Ihr kennt doch sicher Instagram, fragt eine junge Bekannte als wir gemeinsam im Auto sitzen. Offensichtlich ist dies nicht selbstverständlich bei älteren Mitmenschen. Zumindest habe ich sie so verstanden. Ähnliche Fragen oder Anmerkungen erlebte ich schon in einer Postfiliale. Wissen Sie, sagte die junge Frau hinter dem Schalter, man kann das heute auch mit einer App auf dem Handy machen. Anscheinend ging sie davon aus, dass eine Person fortgeschrittenen Alters sich nicht auskennt mit den modernen Medien. Alte Menschen kennen weder sogenannte soziale Medien, noch sind sie vertraut in der Verwendung digitaler Apps auf ihrem Smartphone.

Die Deutsche Rente verlangt von mir, dass ich sowohl einen elektronischen Personalausweis besitze als auch ein dafür geeignetes Lesegerät. Will ich mich auf meiner persönlichen Seite anmelden, so brauche ich beides. Als Lesegerät kann auch ein NFC taugliches Handy genutzt werden, heißt es dort. Digitalzwang, nennen dies meine Freunde von Digitalcourage. Eben noch erzählten Besucher, dass immer mehr Bank- und Postfilialen geschlossen werden. Die Geschäftsabwicklung wird ins Internet übertragen. Wer dabei sein will, braucht ein Smartphone mit der entsprechenden Banking- oder DHL-App. Dabei reicht es nicht aus, diese auf dem Gerät mit sich zu führen, man muss sie auch bedienen können. Und wehe, das Gerät geht verloren oder ein neues muss angeschafft werden. Wie gelingt dann die Übertragung der App, das Login und der angesammelten Daten auf das neue Gerät?

Zur Identifizierung müssen Sie unser Videoident-Verfahren nutzen, wird mir dann gesagt. Es geht ganz einfach, in nur fünf Schritten werden Sie durch den Vorgang geleitet. Das Wörtchen „einfach“ lässt mich mittlerweile hellhörig werden. Nachdem ich erlaubt habe, dass ein mir völlig unbekannter Mann auf meine Kamera zugreift, sehe ich diesen plötzlich auf meinem Bildschirm. Er spricht mich an und gibt Anweisungen, wie ich in die Kamera, meine Kamera, schauen soll. Er sagt mir, dass ich mehr Licht bräuchte. Woher nehmen, wenn nicht stehlen? Ich stehe auf, suche nach einer anderen Beleuchtung, die ich verwenden könnte. Als ich zurück komme, ist der fremde Mann nicht mehr da. Ich muss das Verfahren erneut starten. Dieses Mal erscheint eine Frau, die mich durch den Vorgang dirigiert. Den Personalausweis soll ich in die Kamera halten. Ich soll ihn hin und her bewegen. Dann muss ich ihn umdrehen, etwas mehr nach rechts, so ists gut. Jetzt auch etwas kippen, nein, nicht so. Mehr nach links und rechts und den Daumen etwas aus dem Bild nehmen. Am Ende soll ich den Personalausweis neben mein Gesicht halten. Es gelingt mir nur mit Mühe, mein Bildschirmbild ist spiegelverkehrt.

Wenn du als alter Mensch nicht firm bist in der Nutzung von Plattformen, Apps und Smartphones, dann bist du Außen vor. Ausgeschlossen. Manche Menschen sehen in dir Aliens, die mit den ganz normalen Gepflogenheiten des Alltags nicht vertraut sind. Manche sind nachsichtig, wie unsere junge Bekannte im Auto. Sie fragte zumindest, ob uns der im Gespräch erwähnte Netzwerkdienst bekannt ist. Nun könnte ich mich darüber aufregen, weil sie annimmt, nur weil ich alt bin, kenne ich mich nicht aus. Hätte sie nicht gefragt, könnte ich mich aufregen darüber, dass sie einfach davon ausgeht Instagram sei mir bekannt. Ich entscheide mich für die freundlichere Möglichkeit. Unsere Gesprächspartnerin im Auto wollte sichergehen, dass wir ihrer Erzählung folgen können und vergewisserte sich, ob uns Instagram geläufig sei. Wenn dies doch öfter passieren würde, denke ich. Zum Beispiel bei Begriffen wie Freiheit, Demokratie, Faschismus, Rassismus und all jenen Schlagwörtern, die wir so leichtfertig verwenden, obwohl doch jeder etwas anderes darunter versteht.


Abbildung: C.Stadler/Bwag – Eigenes Werk, CC BY-SA 4.0

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