Bonze des Humors

Von Donnerstag bis Sonntag sind wir in Worpswede. Dort treffen wir uns mit Menschen, die gemeinsam dialogische Begegnungen erleben wollen. Anfangs waren es Freunde rund um Freeman Dorithy, unserem Lehrer und Ausbilder zu Dialogprozessbegleitern. Freeman war ein großer Anhänger von Rainer Maria Rilke. Daher lag es nahe, sich in einem der alten Gemäuer zu treffen, wo einst auch dieser ein und aus ging. Der Buchenhof ist heute ein kleines Hotel, früher war dort Hans am Ende zuhause, einer der Mitbegründer der Worpsweder Künstlerkolonie.

Nun also treffen wir uns, wie die beiden Jahre zuvor, in diesem Hotel, dessen Innenausstattung die Zeit der Jahrhundertwende wieder aufleben lässt. Dieses Mal hatte ich angeboten, den anderen einen Einblick zu geben in das Shared Reading. Ich kündigte an, dass ich mit ihnen gemeinsam eine Session durchführen werde, um ihnen das Erleben zu ermöglichen. Nun bin ich nicht der erfahrene Lesebegleiter. Ich konnte erst drei von mir gestaltete Lese-Sessions erleben. Auch habe ich keine Ahnung, wie meine Textauswahl und meine Begleitung den Dialog erfahrenen Menschen bekommen wird. Tatsächlich frage ich mich schon seit meinem Entschluss immer wieder, worauf ich mich da einlasse. Ganz besonders jetzt, da der Termin näher rückt.

Beim Shared Reading wird ein Text ausgewählt und gemeinsam mit den Anderen gelesen. Den ersten Teil liest die Leseleitung, die restlichen zwei oder drei Teile werden von Freiwilligen übernommen. Das laute Vorlesen ist wichtig, die Texte werden so noch einmal anders, vor allem gemeinsam, wahrgenommen. Auch die Einteilung in mehrere Etappen hat Vorteile. Die Beteiligten können ihre Eindrücke, Empfindungen, Phantasien und Erinnerungen zu den gelesenen Teilen mitteilen. Sie müssen das nicht, sie können auch einfach nur zuhören. Dieser Austausch im Kreise von oftmals fremden Menschen fällt nicht jedem leicht. Manchmal sind Interessierte dabei, die noch keine umfangreichen Leseerfahrungen machten. Manchmal gibt es die Vielleser oder gar literaturwissenschaftlich Vorgebildeten, die all ihr Wissen verkünden möchten. Alle Beiträge müssen von der Leseleitung wohlwollend wahrgenommen und moderiert werden.

Im Shared Reading steht im Vordergrund das gemeinsame Eintauchen in ein Stück Literatur. Diese wird als Medium verwendet, um den Beteiligten das Erzählen von sich zu ermöglichen. Daher ist es wichtig für die Leseleitung, die richtige Textauswahl zu treffen. Gefühlt mache ich dies schon seit einigen Wochen. Kurzgeschichten oder einzelne Kapitel aus Romanen eignen sich dann, wenn sie „Gefühle enthalten, die wir alle kennen, schon erlebt haben oder uns vorstellen können: Tod, Glück, Verzweiflung, Ratlosigkeit, Verblüffung …“, so schreibt es unsere Ausbilderin für das Shared Reading. Der Text soll jedoch auch „die Vorstellungskräfte der Gruppe wecken und ihr Interesse anregen, Herausforderungen bieten, Möglichkeiten, die eigene Komfortzone zu verlassen.“

Mit diesen Vorgaben im Hinterkopf habe ich mittlerweile einige Texte gefunden und wieder verworfen und der Termin rückt näher. Ich muss mich entscheiden. Nicht nur für einen Prosatext, auch für ein Gedicht. Denn diese beiden gehören zusammen. Erst wird der Prosatext gelesen, dann das Gedicht. Ich wünschte mir die Gelassenheit und Zufriedenheit des lachenden Buddha, der in Worpswede zu finden ist. Dann könnte ich mir sagen, nun ist genug gesucht, sondiert und bewertet worden, es reicht. Der zuletzt von mir gefundene Text und das Gedicht, die sind es jetzt. Ich habe keinen Einfluss auf meine Mitmenschen, auf deren Befindlichkeiten, auf die Situation und die Reaktionen, die mir begegnen werden. Es kommt jetzt darauf an mit Gelassenheit und Zuversicht dem Prozess zu vertrauen. Oder, wie es das Kölsche Grundgesetz in Paragraf 2 besagt: „Et kütt wie et kütt.“ Bestimmt war der Buddha auch in Köln unterwegs.

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