Lohnt sich das?

Auf meinem Weg nachhause, da sah ich diese Szene. Jemand kletterte auf sein Fahrrad, um anschließend in den Container für Elektroschrott zu spähen. Damit er in der Dunkelheit des Sammelbehälters sehen konnte, hatte er sich einen Stab zurecht gemacht mit Taschenlampe vorne dran. Ich beobachtete ihn sehr lange. Dabei fragte ich mich, ob sich solche Anstrengungen lohnen? Auch ich habe schon Elektrokleingeräte in einem dafür vorgesehenen Container verschwinden lassen. Kabel, alte Tastaturen, verrostete Taschenlampen und anderes mehr. Für mich hatten diese Gegenstände keinen Wert, sie lagen nur rum.

Ich wartete, bis der Mann wieder raus kam aus seiner Höhle. In den Händen hielt er ein Netzteil mit Stecker, das er einer genaueren Inspektion unterzog. Seine Hände waren übersäht mit schorfigen Wunden, die Fingernägel ebenso verdreckt wie seine Handinnenflächen. Ich schätzte ihn auf über sechzig Jahre. Doch das mit dem Alter und meinen Schätzkünsten lässt oft zu wünschen übrig. Meist traue ich mich nicht weit nach oben zu schätzen oder orientiere mich zu sehr an meinem Alter. Kurzum, er war alt. Als ich näher zu ihn kam, sprach ich ihn an. Entschuldigung, sagte ich, lohnt sich das? Und irgendwie fand ich meine Frage sonderbar. Zeigte sie nicht meine enge Sichtweise auf das menschliche Tun? Es hätte doch sein können, dass er großes Vergnügen daran fand, in Elektroschrott-Container zu krabbeln und nach Schätzen zu suchen. Vielleicht ging es ihm also nicht um die von mir vermuteten Verwertungsinteressen.

Er fand meine Frage nicht sonderbar. Die Leute werfen so viele Dinge weg, die noch verwertbar seien. Er sei Elektroniker und könne manches auch wieder reparieren. Danach verschenke er die Geräte an Bedürftige. Das machte mich nachdenklich. Nicht nur ob meines vorschnellen Gedankens zur Bedürftigkeit dieses Menschen. In meinem Denksystem macht jemand solche Leibesübungen aus eigener Bedürftigkeit. Also ganz und garnicht, um Anderen zu helfen. Und fast schon aus Mitleid, ob seiner edlen Absichten, erinnerte ich mich an den Elektroschrott, den ich noch zuhause aufbewahrte. War da nicht noch ein altes PC-Gehäuse mit funktionierenden Innereien? Zumindest vor ein paar Jahren hatte dieser PC seine Dienste getan. Und ich hatte damals schon die Festplatte gelöscht, weil ich ihn weggeben wollte.

Nehmen Sie auch alte Computer, fragte ich sogleich. Das käme darauf an, meinte er und fragte nach Alter, Typ und Prozessor. Das konnte ich alles nicht so genau beantworten, dennoch einigten wir uns auf einen Abholtermin. Ich nannte ihm meine Adresse in der Neustadt und er sagte zu, heute noch vorbei zu kommen mit seinem Fahrrad und dem Kinderanhänger voller Elektroschrott. Zuhause angekommen, fragte ich mich, was ich denn da wieder getan hatte. Einen wildfremden Menschen, der offensichtlich Schrottsammler ist, meine Adresse zu verraten. Und, ihm einen PC schenken zu wollen, der im Second Hand Laden möglicherweise noch fünfzig Euro bringen könnte. Was, wenn er meine Leutseligkeit ausnutzt, um mich noch im Hauseingang zu fragen, ob er unsere Toilette benutzen darf? Und was, wenn er anschließend nicht nur die alten Parfüm Flacons von Kerstin eingesteckt hätte, sondern auch den ein oder anderen wertvollen Gegenstand? Was, wenn er mich bedrohen würde und gar Bargeld von mir forderte?

Welch eine Ansammlung an unnötigen Ängsten! Geh nicht mit Fremden, sagte man mir schon als Kind. Fremde sind mit Vorsicht zu genießen, da sollte man nicht gleich mit Adresse und Terminabsprachen persönlich werden. Doch wie kann ich mit Fremden näher bekannt werden, wenn ich mich von diesen Vorurteilen und Ängsten leiten lasse? Wir hatten uns für halb drei verabredet. Das ist jetzt einige Stunden her. Noch immer steht der alte PC neben meinem Schreibtisch. Vielleicht bin ja ich der Fremde, den er besser meiden möchte?

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