In fremder Umgebung gewöhne ich mich nur schwer an neue Geräusche. Dann liege ich im fremden Bett und versuche, diese zuzuordnen. Ein Knacken in der Wand, ein Fiepen, ein Klappern, ein Rauschen oder Schaben. Im Hotel ist es eine ferne Stimme auf dem Flur, das monotone Schnarren eines Fahrstuhles. Vor dem geschlossenen Fenster rauscht in weiter Ferne der Verkehr und eine Krankenwagensirene erinnert an die Zerbrechlichkeit der menschlichen Natur. Hier zuhause kenne ich meine Geräusche. Auch hier gibt es Feuerwehr- und Krankenwagensirenen, auch hier ist der Verkehr mal mehr mal weniger laut zu hören. Unsere Straße vor dem Haus besteht nicht nur aus Kopfsteinpflaster, sie hat auch tiefe Fahrrillen, die das lose Transportgut der Lieferwagen ins Scheppern bringen. Ganz zu schweigen von den holprigen Radwegen, worauf so manches Lastenfahrrad samt Stückgut ins Hüpfen kommt. Wie halten dies eigentlich die Kinder aus, die in die Tagesstätte transportiert werden?
Geräusche gibt es von Nachbars Gasheizung. Sie öffnet klappernd ein Ventil, entzündet das Gas-Luftgemisch und rauscht für wenige Sekunden, um dann mit einem Klacken wieder in die Stille zu gelangen. Der Nachbar von oben kommt nach Hause, schließt die Eingangstür auf, lässt diese mit lautem Krachen ins Schloss fallen, um danach das Gleiche mit der Wohnungstür durchzuführen. Die Treppe ist alt, sie knarzt unter seinen Füßen, dafür kann er nichts. Aber hört er nicht, wenn er die Türen krachen lässt? Vor dem Fenster rufen Menschen einander die Neuigkeiten des Tages zu. Sie telefonieren laut, um auch von ihrer Umgebung verstanden zu werden. In der Ferne starten Flugzeuge. Meist höre ich sie schon bevor sie zwischen den Zweigen des Seidenbaums zu sehen sind. Mittlerweile gelingt es mir, den Lärm gewöhnlicher Passagiermaschinen zu unterscheiden von der Transportmaschine für Airbus-Teile. Ihr Aussehen erinnert an einen Weißwal, sie wird Beluga genannt. Bei ihrem Start ist sie so langsam, dass ich Angst habe, sie könnte vom Himmel fallen.
Altwerden hat auch Vorteile. Das Gehör lässt nach, ich muss nicht alles wahrnehmen, was sich um mich herum ereignet. Abgesehen davon kultiviere ich einen Tinnitus, der mich in Zeiten der Stille unterhält. Suchen Sie Ruhe und meiden Sie Stille, sagte mir ein Ohrenarzt. Er geht davon aus, dass solch ein Ohrenrauschen stressbedingt ist. Meist gelingt es mir, die Geräusche um mich herum einigermaßen zuzuordnen. Wenn ich meine Ruhe will, setze ich mir die In-Ear-Kopfhörer ein und lausche dem Rauschen des Meeres, dem Knistern eines Feuers und dem Säuseln des Windes. Oder ich überlasse mich dem Lärm einer Heavy Metal Band.
Bis vorhin meinte ich, die Geräusche um mich herum und innerhalb der Wohnung gut zu kennen. Vorhin jedoch machte mich das Geräusch eines Betonmischers im Garten unruhig. Wer in der Nachbarschaft sollte denn Beton mischen? Das gleichförmige Schaben, Poltern und Rumoren wollte nicht aufhören. Dann fiel mir ein, woher es kommt. Es war mein Kräutersud im Wasserbad. Die Herdplatte stand auf höchster Stufe, das Wasser im Topf verkochte und der hitzebeständige Glasbehälter klapperte lustig vor sich hin. Betonmischer? Angeblich ordnen wir Menschen dem Gehörten automatisch Bedeutungen zu, die wir aus der Erinnerung abrufen. Nun werde ich meinem Repertoire an Geräuschen das Klappern im Wasserbad hinzufügen. Besser wäre wohl, wenn ich solch einen Kochvorgang nicht unbeobachtet ließe.