Leonard Cohen

Heute zeigt Herbert in seinem neuen Blogbeitrag überlebensgroße Bilder von Leonard Cohen. Sie sind zu sehen auf zwei Hauswänden in Montreal. Nein, keine Hauswände, es sind Hochhauswände, eines davon mit 22 Stockwerken, wie Herbert berichtet. Und Cohen ist über die gesamte Fläche einer Seitenwand abgebildet. Wie muss das sein für die Montréalais, wenn sie diesem Bild begegnen? Sehen sie sich eines Tages satt und nehmen es gar nicht mehr wahr? So, wie ich oft an Reklametafeln vorbei gehe und sie nicht mehr sehe? Eigentlich nicht mehr sehen kann. Was geht mich der Werbeslogan des Nahversorgers an, dessen Läden ich kaum betrete? Dagegen ist es ein ganz anderes Erinnern und in Erinnerung rufen, das mit dem Bild von Leonard Cohen ausgelöst wird. Zumindest bei mir. 

Als ich die Bilder sah, da befand ich mich sofort im Zimmer eines Freundes vor vielen, vielen Jahren. Er hatte diesen Raum als Partyraum ausgebaut und hoffte, dort viele Partys feiern zu können. Er suchte Freunde. Wir saßen nun in diesem neu gestalteten Zimmer und aus den Lautsprechern erklang Cohens Stimme. Er sang von Suzanne. Damals, mit meinen sechzehn Jahren hörte ich diesen Song zum allerersten Mal. Er berührte mich so sehr, dass ich froh war, in einem abgedunkelten Zimmer zu sitzen. Die ein oder andere Träne konnte ich dadurch verbergen. Was mich damals berührte, weiß ich nicht. Heute kann ich mir den Song über Apple Music anhören und merke, wie mich die Gänsehaut wieder überfällt. Dabei hatte ich den Text gar nicht verstanden. Ich konnte auch nicht wie heute im Internet danach suchen und die deutsche Übersetzung nachlesen.

Als ich das soeben tat, da merkte ich, es geht nicht darum. Nicht die Worte standen im Vordergrund. Mein Berührtsein kam durch die Musik, den Gesang, die Stimme Cohens. Er konnte mich erreichen ohne Worte. Ja, da war eine Suzanne genannt und etwas mit Tee und Orangen, Jesus kam darin vor. Vor allem war die Rede davon, jemandem blind zu vertrauen. Wo gelingt das heute noch? Vielleicht wünschte ich mir das damals. Dieses Gefühl der Verbundenheit, des Vertrauens. Wie gelingt es, so viel blindes Vertrauen zu einem Menschen zu haben ohne Zweifel und Skepsis. Mag sein, dass es mir darum ging, ich weiß es heute nicht mehr. Viel später erstand ich ein Buch von Cohen. Ich erinnere mich nicht an den Titel. Auch nicht an die Geschichten, die darin erzählt wurden. Es gab jedoch ein Gedicht, an das ich mich noch sehr gut erinnern kann. Vielleicht, weil es so kurz war und alles enthielt, was ich damals empfand.

Marita
please find me
I‘m almost 30.

Ich war, so vermute ich, noch nicht dreißig Jahre alt. Dennoch hoffte ich, nicht so lange warten zu müssen. Lieber Herbert, herzlichen Dank für deine Erinnerung an Leonard Cohen und seine einzigartige Fähigkeit, Menschen zu berühren.  


Beitragsbild mit freundlicher Genehmigung von Herbert Bopp.

Ein Gedanke zu „Leonard Cohen“

  1. Danke für diesen Text. Ich höre deine Sehnsucht aus – wenn nicht gar nach dieser Zeit, lieber Achim. Mir geht es ähnlich. Jedes Mal, wenn ich hier in Montréal an einem der Cohen-Wandgemälde vorbeigehe, fallen mir meine frühen Zwanziger in Waiblingen ein. Gott, was haben wir ihn verehrt, diesen dunklen Kanadier, der mit seinen Lieder doch so viel Licht in unsere manchmal düsteren Zeiten brachte.
    Ich hatte das große Glück, die von Cohen besungene (und von dir zitierte) Suzanne später einmal zu treffen. Sie war gerade dabei, ihren Pickup-Truck zu beladen, mit dem sie in Richtung Kalifornien aufbrach. Jahre später sah ich eine Doku über Cohen und seine Frauen – und natürlich war Suzanne auch dabei. Ganz so glamourös, wie die meisten von uns sie in Erinnerung haben, kam sie allerdings nicht daher. Sie lebte am Venice Beach – genau in jenem Pickup, den ich kurz vor ihrem Weggang aus Montreal noch gesehen hatte. Sie war heimatlos geworden.

    Marita,
    Please find me
    I am almost 30

    Diese Worte stammen aus einem Gedicht, das Cohen Mitte der 1960er Jahre an die Wand des Restaurants Le Bistro Chez Lou Lou in Montreal schrieb. Das vollständige Gedicht wurde später in seiner Sammlung “Selected Poems 1956–1968” veröffentlicht. In der Dokumentation “Ladies and Gentlemen, Mr. Leonard Cohen” von 1965 wird gezeigt, wie Cohen diese Zeilen an die Wand von Le Bistro schreibt.
    Das Gedicht beginnt mit den oben genannten Zeilen und setzt sich fort mit:
    This is my voice
    but I am only whispering
    The amazing vulgarity
    of your style
    invites men to think
    of torturing you to death
    but I am only whispering
    The ocean is whispering
    The junk-yard is whispering
    We no longer wish to learn
    what you know how to do
    There is no envy left
    If you understood this
    you would begin to shiver
    but I am only whispering
    to my tomahawk
    so that the image itself
    may reduce you to scorn
    and weaken you further .

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