Ich habe schon an vielen Orten gewohnt. Nirgends ist es mir so aufgefallen wie hier in Bremen. Als ich das erste Mal durch die geöffnete Haustür meiner Bremer Zimmerwirtin trat, da wies sie mich daraufhin, doch die Schuhe im Flur auszuziehen. Es gab sogar Gästepantoffeln, so dass ich nicht in Socken über die Treppen und Fußböden laufen musste. Was gar nicht so schlimm gewesen wäre, denn in diesem Haushalt wurde ordentlich und gründlich geputzt. Auch in meiner Kindheit begegnete mir das „Schuhe aus!“ sehr häufig. Besonders an jenen Tagen, wenn meine Mutter mit Schürze und Gummihandschuhen bewaffnet durch die Wohnung wirbelte. Auch hier gab es für jedes Familienmitglied Hausschuhe in Form von Holzsandalen. Die mit dem Riemen vorn und weil sie auf dem Steinfußboden und den Treppenstufen klapperten beim Laufen, wurden sie schlicht „Klappern“ genannt. Hast du denn keine Klappern, fragte dann der Vater, wenn er mich auf Socken durch die Wohnung laufen sah.
Hier nun, in Bremen, da stehen die ausgezogenen Schuhe im Windfang, im Flur, auf dem Fußboden oder in dafür vorgesehene Regalen. Und kommen Besucher zu uns, dann ist deren Frage als erstes, soll ich die Schuhe ausziehen? Manche fragen gar nicht mehr, sie tun es einfach. Es gehört dazu. Kein Straßendreck soll in die geputzte Wohnung getragen werden. Mich erinnert das an einen Songtext von Peter Fox über Berlin. „Überall liegt Scheiße, man müsst‘ eigentlich schweben. Jeder hat nen Hund aber keinen zum Reden.“ So schlimm ist es nicht bei uns, die Hundebesitzer haben sich ans Wegräumen von Hinterlassenschaften ihrer Lieblinge gewöhnt. Schuhe aus, so hieß es auch in manch einer psychotherapeutischen Praxis, die ich kennenlernen konnte. Auf den Teppichen oder dem Teppichboden durfte kein Unrat von Außen verteilt werden. Manch ein Klient, so erzählte mir einmal ein Therapeut, hatte Schwierigkeiten mit dieser Aufforderung. Nein, meine Schuhe ziehe ich nicht aus, sagte einmal ein Manager, der sich wohl zu fein dafür war.
Als wir am Bodensee wohnten, in einer Wohnung im ersten Stock, da wohnten noch zwei ältere Herren im Haus. Einer hatte seine Frau unter anderem dadurch verloren, dass er ihr beim Kochen immer hinterherlief, um die gebrauchten Gerätschaften sauber zu machen. Er hatte auch sonst den genauen Blick. So konnte es nicht ausbleiben, dass er eines Tages kleine Schürfungen auf den Marmorstufen im Treppenhaus wahrnahm. Die kämen davon, wenn Kinder mit ihren Gummistiefeln die Treppen hoch und runter liefen. Also zogen die Kinder ihre Stiefel im Treppenhaus aus. Sie liefen auf ihren Socken die kalten Stufen hoch und der Nachbar konnte es zufrieden sein. Es kann kein Mensch in Frieden leben, wenn’s seinem Nachbarn nicht gefällt, schrieb Goethe. Womit der eine zufrieden war, das wiederum störte den anderen. Eines Morgens suchten die Kinder ihre Schuhe, sie waren verschwunden. Der andere Nachbar hatte sie in den Fahrradkeller geworfen, er konnte es nicht ertragen, sie im Flur zu sehen. Der Flur sei die Visitenkarte des Hauses, meinte er.
Nun ja. So möge jeder nach seiner Façon glücklich werden. Schade nur, dass dies die Mitmenschen nicht mit einbezieht. Wenn wir Besuch haben, der nach dem Schuhe ausziehen fragt, dann überkommt es mich manchmal und ich erwidere, Nein, ich habe gerade erst sauber gemacht. Das schafft Verwirrung und bringt so manchen Besucher ins Nachdenken. Jener Manager, der in den Räumen des Therapeuten seine Schuhe nicht ausziehen wollte, der tat es letztendlich doch. Er schämte sich ein wenig wegen des Loches im Socken, wo sein großer Zeh herausragte.