Meine Küche ist meine Werkstatt, sagt Kerstin. Wenn ich mich dort umsehe, dann kann ich dies nur bestätigen. Ich habe schon viele Werkstätten gesehen, besonders in Zusammenhang mit unserem alten Passat. Ein befreundeter Kraftfahrzeugmechaniker kümmerte sich um alles, was dieses Fahrzeug an größeren und kleineren Reparaturen benötigte. Einmal konnte ich ihn beim Wechsel der Bremsklötze beobachten. Er hatte den Wagen auf der Hebebühne hochgefahren und das Hinterrad entfernt. Jetzt bearbeitete er die Radachse oder etwas, was damit verbunden war, mit seinem Hammer. Diesen hatte er sich aus dem Werkzeugwagen geholt, der in Reichweite zu ihm stand. Die Werkzeuge darin lagen kreuz und quer durcheinander auf der offenen Lade. Mit viel Kraft und Flüchen hämmerte er auf das Teil ein, doch es ließ sich nicht von der Achse lösen. Am Ende ließ er eine Kaskade von Flüchen los und schmiss den Hammer zu den anderen Werkzeugen in den Werkzeugwagen, woraufhin sich Zangen, Schraubenzieher, Steckschlüssel und zugehörige Steckschlüsselsätze überall auf dem Werkstattboden verteilten.
Ein anderes Mal erlebte ich eine ganz andere Art von Werkstatt. Im Nachbardorf gab es eine, die sich auf Harley Davidson Motorräder spezialisierte. Der Besitzer war ein großer Fan dieser röhrenden Maschinen und die hohe Qualität seiner Arbeit bescherte ihm Kunden weit über die Bodenseeregion hinaus. Damals hatte ich für kurze Zeit ein Motorrad und es gab irgendetwas, was er daran einstellen sollte. Sein Umgang mit dem Fahrzeug und seinen Werkzeugen war deutlich anders als jene des fluchenden und zornigen Kfz-Mechanikers. Hier war die Werkstatt blitzblank, alle Arbeitsplätze, Werkbänke und Werkzeuge sauber poliert und alles an seinem Platz. Für die benutzten Werkzeuge gab es eine extra Ablage, wo sie auf ihre Säuberung warteten. Und bevor er irgendetwas an einem Motorrad reparierte, putzte er die Maschine und insbesondere die Stellen, wo seine Eingriffe stattfinden würden. Aus der Gesäßtasche seiner Latzhose hing ein weißes Tuch heraus, das er ab und an ergriff, um seine Hände zu säubern.
Wie unterschiedlich Werkstätten doch sein können. Kerstins Werkstatt Küche zeichnet sich aus durch eine Fülle an Gewürzen, Geschirren, Töpfen und Pfannen. Alles hat seinen Platz. Das weiß ich, weil ich mich beim Aufräumen das ein oder andere Mal nicht an diese Ordnung gehalten hatte. Wo ist mein Schälmesser ruft es dann durch die Wohnung. Meine reflexhafte Antwort lautet „Ich war’s nicht!“. Das erinnert stark an die Kinderzeiten, wo von drei Geschwistern eines immer im Verdacht stand, etwas kaputt gemacht zu haben. Gab sich der Urheber nicht zu erkennen, so setzte es für alle drei Prügel. Stellte sich dann heraus, dass zwei der Kinder nicht schuldig waren, so wurde verlautet, man habe etwas gut beim nächsten Mal. Dies wurde jedoch vergessen, wenn es so weit war. Aber jetzt bin ich ja groß und die Gefahren der Kindheit haben nur gedanklich noch Einfluss auf mich. Das fehlende Werkzeug war schnell gefunden. In meinem Aufräumwahn hatte ich es in die Spülmaschine verstaut.
Mittlerweile weiß ich ja, wo die Dinge hingehören. Und beim Aufräumen der Küche, was in meinen Tätigkeitsbereich fällt, achte ich ganz besonders darauf, dass alles dorthin zurückgelegt wird, wo es seinen Platz hat. Wenn es einen Platz hat. Manche Gegenstände sind ohne festen Platz, fast wie Obdachlose, die ohne Behausung sind. Eine Form der Diskriminierung, die den Gegenständen jedoch nicht zu schaden scheint. Unsere Salatschleuder gehört zu diesen. Sie steht mal hier, mal dort. Mal auf dem Papierbehälter, mal auf der Spüle, mal vor dem Brotkasten, mal gefährlich nahe am Kochfeld. Noch vor kurzem fragte eine Freundin, wo sie denn die Salatschleuder hinstellen könne, sie hatte sie benutzt und gleich darauf wieder sauber gemacht. „Wo Platz ist“, lautete die Antwort und unsere Salatschleuder landete wieder auf dem Papiersammler.
Alle noch freien Plätze haben eines gemeinsam. Sie sind frei, weil sie bei Küchenarbeiten benötigt werden. Der Deckel des Papiersammlers wird immer wieder geöffnet und geschlossen. Der Abtropfbereich der Spüle wird genau hierfür benötigt. Und der Brotkasten hat ein ausziehbares Schneidebrett, das immer wieder benutzt wird. So wandert noch heute die Salatschleuder mal hierhin mal dorthin und hat keinen festen Platz. Ich gab ihr den Namen Wanderschleuder und durch ihren Namen bekommt sie einen gleichberechtigten Platz in der Werkstatt Küche, zumindest nominal.