Sepulkralkultur

Ob er sich Sorgen machen müsste, fragte mich mein Freund, als ich am Telefon mit ihm sprach. Neben vielen anderen Themen – Theo ist Philosoph und Vater – erzählte ich ihm von meinem Besuch in einem Bestattungsinstitut hier in der Neustadt. Hätte ich vom Besuch einer Praxis für Physiotherapie berichtet, wäre seine Entgegnung wohl anders ausgefallen. Manchmal überkommt mich der Gedanke, ich könnte meine Freunde und Bekannte arg erschrecken, wenn ich das Thema Sterben, Tod und Trauer in unsere Gespräche einbringe. Ich sei ein in der Regel lebensfroher Mensch, versuchte ich Theo zu beruhigen. Außerdem liefe ich noch nicht schwarz gekleidet durch die Gegend. Nein, ich bin nicht depressiv. Die Beschäftigung mit Tod und Sterben gehört meiner Meinung nach zum Leben dazu.

Meinen Termin im Bestattungsinstitut hatte ich schon vor Wochen vereinbart. Ich wollte in Erfahrung bringen, was ich wissen sollte, wenn ich das ein oder andere vorbereiten will. Schon während meiner Ausbildung zum Sterbebegleiter beschäftigte ich mich mit meiner Patientenverfügung und diversen Vollmachten. Die befinden sich jetzt in einem Ordner, der gut sichtbar im Bücherregal steht. Was mir fehlte, war eine Antwort auf die Frage, wie ich denn bestattet sein möchte. Das Beratungsgespräch fand in einem sehr freundlichen Ambiente statt. Der Raum war in warmes Licht getaucht, an den Wänden hingen überwiegend Aquarellbilder, die viel Wasser, Himmel und Licht zeigen. Ein großer massiver Tisch bot Platz für acht Personen. Meine Vorstellung von einem Bestattungsinstitut war bislang geprägt von schweren Wandbehängen, Teppichen, düsterer Beleuchtung und tragender Musik im Hintergrund.

Jetzt also diese einladende und freundliche Atmosphäre. Ich war schon einmal dort gewesen als unser Sterbebegleitungskurs eine Exkursion dorthin machte. Sie kommen mir bekannt vor, meinte die Inhaberin. Doch sie habe ein schlechtes Gesichtsgedächtnis, da wüsste sie jetzt nicht woher. Schnell waren wir im Gespräch und ich erfuhr, dass es nichts zu entscheiden gäbe auf die Schnelle. Auch, dass alle Entscheidungen, die später getroffen würden, wieder rückgängig gemacht werden könnten, falls sich die Umstände änderten. Jetzt ging es nur darum zu klären, woran im Vorfeld der eigenen Bestattung und Beisetzung gedacht werden könnte. Der Vorsorgevertrag für eine Bestattung zählt alle Einzelheiten auf. Natürlich die Art der Bestattung (Erd-, Urnen-, See- oder Waldbestattung) oder gar eine Form der Kompostierung, Reerdigung genannt. Die Form der Aufbahrung, die Trauerfeier und deren Rahmen, die Kleiderordnung, Musik, Dekoration und Trauerrede, das Trauermahl.

Wie soll die Beisetzung geregelt werden, Friedhof oder Naturbestattung? Als einziges Bundesland erlaubt Bremen die Ascheausstreuung auf Stadtgebiet oder im eigenen Garten. Dies alles auf Antrag und nach offizieller Erlaubnis durch die zuständige Behörde. Bis heute ist mir kein Gedanke dazu gekommen, wie ich bestattet sein möchte. Ich weiß von Bekannten, dass sie ihre eigene Beerdigung bis ins kleinste Detail planen. Wo wird was von wem zu welchem Zeitpunkt gemacht und getan? Welche Musik, welche Musikstücke sollen gespielt werden? Wer spricht und wenn ja, worüber? Wow! Soviel Kontrolle über den Tod hinaus, das ist mir unheimlich. Macht doch, was ihr wollt, möchte ich meinen Zugehörigen zurufen, den Hinterbliebenen erst recht. Wenn ich tot bin, kriege ich das alles nicht mehr mit. Dennoch ist mir vor kurzem ein inneres Bild aufgetaucht von einer kleinen Lichtung, sonnenbestrahlt und von Birken umrahmt. Es war mir sofort klar, dass es sich hier um einen Friedwald handelt.

Das wäre schön, dort beerdigt zu sein, so dachte ich mir. Diesen Friedwald habe ich noch nicht gefunden, es gibt deren zwei in der Umgebung von Bremen. Sobald es wärmer geworden ist, mache ich mich auf und schaue mich um. Vielleicht entspricht einer der beiden meinem inneren Bild? Mehr weiß ich nicht zum Ablauf, zu den Gegebenheiten, zu den Dekorationen und dergleichen. Aber das kann sich noch entwickeln. Nach der ersten Beratung im Bestattungsinstitut ist dies Thema lebendig in mir und vielleicht möchte ich am Ende doch in unserem Garten oder in der Weser verstreut werden, wer weiß?

Der sperrige Begriff Sepulkralkultur begegnete mir in einem gerade erschienen Buch der Autorinnen, Illustratorinnen und Grafikdesignerinnen Luisa Stömer und Eva Wünsch. Es trägt den Titel „Schwellenangst“ und den Untertitel „Annäherungen an einen anderen Umgang mit Sterben, Tod und Trauer“. Mich hatte die Rezension in der Berliner Zeitung sehr angesprochen und kurze Zeit später landete das Buch in meinem Briefkasten. Der Begriff Sepulkralkultur umfasse alles, was im weitesten Sinne mit Sterben, Tod und Trauer zu tun habe, schreiben die Autorinnen und fahren fort:

Er beschreibt die Kultur, mit der wir der Endlichkeit begegnen und auf welche Weise das Sterben eingerahmt wird – von den Formalien eines Todesfalles über die Kleiderordnung bei der Trauerfeier bis hin zu Urnen, Bestattungen, Grabsteinen und Fragen der Floristik. Die Sepulkralkultur ist immer auch Ausdruck gesellschaftlicher Entwicklungen und zeigt, wie mit dem Tod kollektiv umgegangen wird.

Lasst uns das Leben feiern und dabei das Sterben nicht aus den Augen verlieren. Vielleicht nerve ich ab und an mit solchen Themen, doch möchte ich nicht auf sie verzichten. Sie sind Teil meiner Lebenswirklichkeit, die ich gerne teile.


Luisa Stömer / Eva Wünsch
Schwellenangst
Annäherungen an einen anderen Umgang mit Sterben, Tod und Trauer

Verlag Antje Kunstmann
ISBN: 978-3-95614-606-0